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Mehr als zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise herrscht geldpolitisch noch immer Ausnahmezustand in Europa. Seit Jahren ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) extrem locker. Der Nullzins scheint zementiert und eine Änderung, vor wenigen Monaten noch allgemein erwartet, ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, auch 2020 vermuten manche Beobachter, wird sich an der Geldpolitik der EZB wenig ändern. Viele sehen allein in EZB-Präsident Mario Draghi den Schuldigen für die derzeitige Politik. Dabei ist er nur das Gesicht einer Politik, die strengen Regeln unterworfen ist. Denn in der Geldpolitik wird nicht nach Gutdünken des jeweiligen Präsidiums entschieden, sondern nach festen Regeln.  Das primäre Ziel der EZB ist die Preisstabilität in der Eurozone. Diesem Ziel hat sich auch die Geldpolitik zu unterwerfen.

Die Taylor-Regel war das Maß aller Dinge

Solche Regeln schreiben Zentralbanken kein bestimmtes Handeln vor, sondern sie versuchen, das Handeln von Zentralbanken anhand bestimmter Kriterien zu beschreiben. In den vergangenen zwei Jahrzehnten galt dabei die Taylor-Regel als das Maß aller Dinge.  Benannt wurde sie nach ihrem Begründer, dem US-Ökonomen John B. Taylor. An der von Taylor entwickelten Formel lässt sich erkennen, wie ausgelastet eine Volkswirtschaft ist. Davon ausgehend lässt sich ableiten, ob ein zusätzlicher monetärer Impuls notwendig ist, die Zinsen genau richtig liegen oder sogar höhere Sätze nötig sind, um eine Überhitzung zu verhindern. Besonders zwei Komponenten bestimmen diese Formel. Die Inflation und die wirtschaftliche Aktivität einer Volkswirtschaft. Letztere wird in der Regel über den Arbeitsmarkt abgebildet. Die Formel vergleicht einfach den Soll- mit dem Ist-Zustand. Aus der jeweiligen Differenz, zum einen der Differenz von Inflationsziel und bestehender Inflation (Inflationslücke) und der Differenz aus natürlicher Arbeitslosenrate abzüglich aktueller Quote (Output-Lücke) wird dann der optimale Leitzins abgeleitet.

Geldpolitik im Autopiloten-Modus

Bis zur  Finanzkrise ließ sich die europäische Geldpolitik gut mit der Taylor-Regel nachvollziehen. Im Zuge der Finanzkrise lies jedoch der Wirkungsgrad der Formel nach. Denn die Situation der einzelnen Mitgliedsstaaten in der Eurozone ist seitdem nicht mehr so homogen wie vor der Krise. Vor allem beim Wirtschaftswachstum, der Arbeitslosenquote und der Inflation unterscheiden sich manche Staaten der Währungsunion erheblich. Für Deutschland müsste demnach der optimale Zinssatz bei 3,8 Prozent liegen, für Griechenland dagegen bei minus 6,4 Prozent. Für alle anderen Staaten liegt der optimale Zins irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Wobei für die südeuropäischen Staaten grundsätzlich eher ein negativer Leitzins optimal wäre.

Die Taylor-Regel hat Schwächen

Die Taylor Regel, soviel ist mittlerweile klar, kommt mit solchen eklatanten Unterschieden  zwischen den einzelnen Volkswirtschaften nicht zurecht. Eine Lösungsansatz erfolgte durch den Ökonomen und EZB-Ratsmitglied Athanasios Orphanides. Die von ihm modifizierte Regel vergleicht zwar ebenfalls Soll und Ist von Inflation und Wirtschaftspotenzial, basiert dabei aber im Wesentlichen auf beobachtbaren Größen. Hier liegt eine besondere Schwäche des Taylor-Ansatzes. Denn vor allem die Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten, ein zentraler Punkt der Taylor-Regel, ist nicht eindeutig messbar und wird regelmäßig im Nachhinein noch revidiert.  Mit der Orphanides-Regel lässt sich das Handeln der EZB wesentlich besser erklären. Die Signale dieser Regel sind dabei eindeutig. Nach diesem Modell sind Zinserhöhungen bis auf Weiteres nicht zu erwarten.

Orphanides-Regel erklärt die aktuelle Zinspolitik

Damit lässt sich auch erklären, warum die EZB bei ihrer letzten Sitzung am 07. März die Geldpolitik unverändert gelassen hat und dass die EZB-Leitzinsen für längere Zeit (mindestens über das Jahr 2019 hinaus) auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden. Für konservative Sparer lässt die Orphanides-Regel wenig Spielraum für Hoffnung auf eine baldige Kehrtwende in der Geldpolitik. Demnach dürfte die EZB den eigentlich geplanten Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bis auf Weiteres verschieben.

Auch die Fed lässt die Finger von weiteren Erhöhungen

Sparer sollten vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen. Denn auch in den USA scheint die Phase der Zinserhöhungen mittlerweile am Ende zu sein. Auch die Fed lässt mittlerweile die Finger weg von weiteren Zinserhöhungen und stellt Ende 2019, deutlich früher als ursprünglich geplant, ihre Liquiditätsverknappung ein. Die globale Wirtschaftsabkühlung lässt auch der amerikanischen Notenbank derzeit wenig Spielraum.  Aber immerhin haben die US-Amerikaner wieder einen positiven Zins. Eine Staatsanleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren bringt in Übersee jedes Jahr schon drei Prozent ein. Auch auf Tages- und Festgeldkonten bekommt man in den USA seit einiger Zeit wieder einen nennenswerten Zins. Wie lange noch, ist jedoch schwierig einzuschätzen. Beobachter gehen davon aus, dass bei einer weiteren Abkühlung der US-Wirtschaft auch dort die Zinsen wieder fallen werden. Immerhin kann die Fed, im Gegensatz zur EZB, mit klassischen Methoden der Geldpolitik einer wirtschaftlichen Abkühlung entgegensteuern.

In Depots ohne Aktien herrscht Trostlosigkeit

In den Depots von deutschen Sparern, die auf Aktien verzichten, herrscht dagegen schon seit Jahren Trostlosigkeit. Noch schlimmer sieht es auf Tages- oder Festgeldkonten aus. Dort kann noch nicht einmal die Kaufkraft erhalten werden. Gestern fand, das Timing hätte kaum besser sein können, der Tag der Aktie in Deutschland statt. Ein weiterer Versuch, die Sparer für das Einzige, das derzeit  langfristigen Ertrag verspricht zu begeistern. Inwieweit ein solcher Aktionstag das Anlegerverhalten nachhaltig verändern kann bleibt abzuwarten. Auf Zinsen, darin sind sich alle Beobachter einig, braucht man jedoch bis auf Weiteres nicht zu warten. Egal welche Regel man auch bemüht, um das Verhalten der Notenbanken zu erklären. Die Richtung ist eindeutig.

 

 

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Orphanides schlägt Taylor

Mehr als zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise herrscht geldpolitisch noch immer Ausnahmezustand in Europa. Seit Jahren ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) extrem locker. Der Nullzins scheint zementiert und eine Änderung, vor wenigen Monaten noch allgemein erwartet, ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, auch 2020 vermuten manche Beobachter, wird sich an der Geldpolitik der EZB wenig ändern. Viele sehen allein in EZB-Präsident Mario Draghi den Schuldigen für die derzeitige Politik. Dabei ist er nur das Gesicht einer Politik, die strengen Regeln unterworfen ist. Denn in der Geldpolitik wird nicht nach Gutdünken des jeweiligen Präsidiums entschieden, sondern nach festen Regeln.  Das primäre Ziel der EZB ist die Preisstabilität in der Eurozone. Diesem Ziel hat sich auch die Geldpolitik zu unterwerfen.

Die Taylor-Regel war das Maß aller Dinge

Solche Regeln schreiben Zentralbanken kein bestimmtes Handeln vor, sondern sie versuchen, das Handeln von Zentralbanken anhand bestimmter Kriterien zu beschreiben. In den vergangenen zwei Jahrzehnten galt dabei die Taylor-Regel als das Maß aller Dinge.  Benannt wurde sie nach ihrem Begründer, dem US-Ökonomen John B. Taylor. An der von Taylor entwickelten Formel lässt sich erkennen, wie ausgelastet eine Volkswirtschaft ist. Davon ausgehend lässt sich ableiten, ob ein zusätzlicher monetärer Impuls notwendig ist, die Zinsen genau richtig liegen oder sogar höhere Sätze nötig sind, um eine Überhitzung zu verhindern. Besonders zwei Komponenten bestimmen diese Formel. Die Inflation und die wirtschaftliche Aktivität einer Volkswirtschaft. Letztere wird in der Regel über den Arbeitsmarkt abgebildet. Die Formel vergleicht einfach den Soll- mit dem Ist-Zustand. Aus der jeweiligen Differenz, zum einen der Differenz von Inflationsziel und bestehender Inflation (Inflationslücke) und der Differenz aus natürlicher Arbeitslosenrate abzüglich aktueller Quote (Output-Lücke) wird dann der optimale Leitzins abgeleitet.

Geldpolitik im Autopiloten-Modus

Bis zur  Finanzkrise ließ sich die europäische Geldpolitik gut mit der Taylor-Regel nachvollziehen. Im Zuge der Finanzkrise lies jedoch der Wirkungsgrad der Formel nach. Denn die Situation der einzelnen Mitgliedsstaaten in der Eurozone ist seitdem nicht mehr so homogen wie vor der Krise. Vor allem beim Wirtschaftswachstum, der Arbeitslosenquote und der Inflation unterscheiden sich manche Staaten der Währungsunion erheblich. Für Deutschland müsste demnach der optimale Zinssatz bei 3,8 Prozent liegen, für Griechenland dagegen bei minus 6,4 Prozent. Für alle anderen Staaten liegt der optimale Zins irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Wobei für die südeuropäischen Staaten grundsätzlich eher ein negativer Leitzins optimal wäre.

Die Taylor-Regel hat Schwächen

Die Taylor Regel, soviel ist mittlerweile klar, kommt mit solchen eklatanten Unterschieden  zwischen den einzelnen Volkswirtschaften nicht zurecht. Eine Lösungsansatz erfolgte durch den Ökonomen und EZB-Ratsmitglied Athanasios Orphanides. Die von ihm modifizierte Regel vergleicht zwar ebenfalls Soll und Ist von Inflation und Wirtschaftspotenzial, basiert dabei aber im Wesentlichen auf beobachtbaren Größen. Hier liegt eine besondere Schwäche des Taylor-Ansatzes. Denn vor allem die Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten, ein zentraler Punkt der Taylor-Regel, ist nicht eindeutig messbar und wird regelmäßig im Nachhinein noch revidiert.  Mit der Orphanides-Regel lässt sich das Handeln der EZB wesentlich besser erklären. Die Signale dieser Regel sind dabei eindeutig. Nach diesem Modell sind Zinserhöhungen bis auf Weiteres nicht zu erwarten.

Orphanides-Regel erklärt die aktuelle Zinspolitik

Damit lässt sich auch erklären, warum die EZB bei ihrer letzten Sitzung am 07. März die Geldpolitik unverändert gelassen hat und dass die EZB-Leitzinsen für längere Zeit (mindestens über das Jahr 2019 hinaus) auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden. Für konservative Sparer lässt die Orphanides-Regel wenig Spielraum für Hoffnung auf eine baldige Kehrtwende in der Geldpolitik. Demnach dürfte die EZB den eigentlich geplanten Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bis auf Weiteres verschieben.

Auch die Fed lässt die Finger von weiteren Erhöhungen

Sparer sollten vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen. Denn auch in den USA scheint die Phase der Zinserhöhungen mittlerweile am Ende zu sein. Auch die Fed lässt mittlerweile die Finger weg von weiteren Zinserhöhungen und stellt Ende 2019, deutlich früher als ursprünglich geplant, ihre Liquiditätsverknappung ein. Die globale Wirtschaftsabkühlung lässt auch der amerikanischen Notenbank derzeit wenig Spielraum.  Aber immerhin haben die US-Amerikaner wieder einen positiven Zins. Eine Staatsanleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren bringt in Übersee jedes Jahr schon drei Prozent ein. Auch auf Tages- und Festgeldkonten bekommt man in den USA seit einiger Zeit wieder einen nennenswerten Zins. Wie lange noch, ist jedoch schwierig einzuschätzen. Beobachter gehen davon aus, dass bei einer weiteren Abkühlung der US-Wirtschaft auch dort die Zinsen wieder fallen werden. Immerhin kann die Fed, im Gegensatz zur EZB, mit klassischen Methoden der Geldpolitik einer wirtschaftlichen Abkühlung entgegensteuern.

In Depots ohne Aktien herrscht Trostlosigkeit

In den Depots von deutschen Sparern, die auf Aktien verzichten, herrscht dagegen schon seit Jahren Trostlosigkeit. Noch schlimmer sieht es auf Tages- oder Festgeldkonten aus. Dort kann noch nicht einmal die Kaufkraft erhalten werden. Gestern fand, das Timing hätte kaum besser sein können, der Tag der Aktie in Deutschland statt. Ein weiterer Versuch, die Sparer für das Einzige, das derzeit  langfristigen Ertrag verspricht zu begeistern. Inwieweit ein solcher Aktionstag das Anlegerverhalten nachhaltig verändern kann bleibt abzuwarten. Auf Zinsen, darin sind sich alle Beobachter einig, braucht man jedoch bis auf Weiteres nicht zu warten. Egal welche Regel man auch bemüht, um das Verhalten der Notenbanken zu erklären. Die Richtung ist eindeutig.

 

 

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