Die Nachricht kam nicht überraschend. Deutschland rutscht, ausgelöst durch die Covid-19 Krise, in eine schwere Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im ersten Vierteljahr gegenüber dem Vorquartal um 2,2 Prozent. Da die deutsche Wirtschaftsleistung bereits im Schlussquartal 2019 gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent zurückgegangen war, sank das Bruttoinlandsprodukt somit zwei Quartale in Folge. Für Ökonomen sind dies maßgebliche Angaben für eine „technische Rezession“. Der Wirtschaftseinbruch zum Jahresanfang war der stärkste Rückgang im Quartalsvergleich seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 und der zweitstärkste seit der deutschen Wiedervereinigung. Für das Gesamtjahr rechnet die Bundesregierung sogar mit der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte. Die Wirtschaftsleistung der größten Volkswirtschaft Europas dürfte demnach um 6,3 Prozent schrumpfen. Ökonomen und Verbände erwarten teilweise einen noch tieferen Einbruch. Positive Nachrichten sehen anders aus.
Den Deutschen Aktienindex schien diese formale Definition allerdings nicht zu beeindrucken. Ganz im Gegenteil, der Index startete sehr positiv in die letzte Woche des Wonnemonats Mai. Die alte Regel „An der Börse wird die Zukunft gehandelt“ wird an solchen Tagen eindrucksvoll bestätigt. Denn an der Börse entscheiden nie allein die Tatsachen, sondern vielmehr das Zusammenspiel zwischen Fakten und Erwartungen. Je stärker die Fakten von dem abweichen, was der Markt tatsächlich erwartet hat, desto heftiger die Kursreaktion. Das Covid-19 Spuren hinterlassen würde, war jedem klar. Im März hatte sich die Pandemie in Europa ausgebreitet. Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Grenzen und Geschäfte brachten das Wirtschaftsleben ab Mitte März in großen Teilen zum Erliegen. Entsprechend heftig fiel die Reaktion an den Aktienmärkten aus.
Mittlerweile greifen jedoch die ersten zaghaften Lockerungen. Die Stimmung beginnt sich aufzuhellen. Für Mai stieg der Ifo-Geschäftsklimaindex auf 79,5 Zähler von 74,2 Punkten im April. Der Index gilt als einer der wichtigsten wirtschaftlichen Frühindikatoren. Zwar schätzten die befragten Firmen ihre Lage noch mal einen Tick schlechter ein, blickten aber weniger skeptisch in die Zukunft. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung der Universität München veröffentlicht den Geschäftsklimaindex seit 1972. Er gilt als wichtigster Konjunkturindikator der deutschen Wirtschaft. Dazu befragt das Institut in der Regel etwa 7.000 Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe, dem Bauhauptgewerbe sowie dem Groß- und Einzelhandel. Die Forscher fragen unter anderem nach der aktuellen Auftragslage sowie nach den Erwartungen für die kommenden sechs Monate. Mögliche Antworten für die Lage sind gut, befriedigend oder schlecht. Auch wenn der aktuelle Wert von 79,5 Zähler nicht wirklich gut ist, davon kann man erst ab 100 Punkten sprechen, stellt er doch eine wichtige Trendwende zum positiven da. Die meisten Unternehmer gehen davon aus, dass das Schlimmste hinter ihnen liege und die Zukunft besser werde.
Vier Buchstaben stehen dabei für die Volkswirte im Mittelpunkt. Die Erholung kann in Form eines V, U, W oder L stattfinden. Die Optimisten hoffen immer noch auf eine V-förmige Erholung. Das ist der Fall, wenn dem starken Absturz der Börsenkurse eine ebenso rasche Erholung der Kurse folgt. Ende März erklärte der Sachverständigenrat die V-Form als wahrscheinlichstes Erholungsszenario. Dies ist häufig bei exogen ausgelösten oder ereignisbezogenen Krisen der Fall. Denn solche Krisen dauerten in der Vergangenheit im Durchschnitt deutlich weniger als ein Jahr. Dasselbe gilt für die durchschnittliche Dauer bis zur Erholung. Mittlerweile sind viele Experten allerdings skeptisch. Durch den asynchronen Verlauf der Pandemie werde sich die Erholung länger hinziehen. Immer mehr Beobachter gehen mittlerweile von einem U-förmigen Verlauf aus. Dem Absturz folgt demnach eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau, dem sich dann ein schneller Aufschwung anschließt. Die Konjunktur würde dann wie ein U verlaufen.
Vor allem private Anleger scheinen allerdings Angst vor der zweiten Virus-Welle zu haben. Viele haben dem Markt erst einmal den Rücken zugekehrt und warten ab. Denn in diesem Szenario würden die Kurse wohl ein zweites Mal abstürzen. Erst wenn ein Impfstoff und wirksame Medikamente auf dem Markt sind, könnte eine stabile Erholung eingeleitet werden. Nicht wenige Beobachter glauben, dass der Dax in diesem Szenario auch noch mal das erreichte Tief von 8.255 Punkten testen könnte. Das Erholungsszenario in Form eines W könnte dann noch Monate dauern. Das Lieblingsszenario der Untergangspropheten ist der L-förmige Verlauf. Dem kräftigen Absturz folgt eine lange Phase der Stagnation. Eine lange globale Depression wie in den 1930er Jahren ohne echte Erholung. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit dafür mittlerweile nur noch sehr gering. Immerhin hat der Dax schon fast 30 Prozent von seinem Corona bedingten Tief aufgeholt.
Trotz der beeindruckenden Erholung befindet sich die Börse aber immer noch in einem Bärenmarkt. Mancher Beobachter hebt bereits warnend den Finger und postuliert „Kein Bärenmarkt ohne Bärenmarktrally“. Von Normalität sind die Märkte noch weit entfernt, die wird erst eintreten, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Allerdings sollte auch jedem Anleger klar sein, nur wer jetzt bereit ist höhere Risiken einzugehen, wird langfristig belohnt. Diejenigen die zu defensiv positioniert sind geraten von zwei Seiten unter Druck. Zum einen haben sie teilweise im Abschwung sogar stärker verloren und zum anderen profitieren sie von der derzeitigen Erholung weniger. Die Staaten und Notenbanken bekämpfen die Krise mit einer noch nie dagewesenen Flut von Rettungspaketen, Hilfsprogrammen und weiteren Zinssenkungen. Die Märkte werden mit Liquidität überschwemmt. Das Geld will angelegt werden und da Anleihemärkte kaum noch Renditen abwerfen, erscheinen Aktien als vernünftige Alternative. Vermögen werden in der Krise begründet. Wer sein Geld langfristig vermehren will, sollte das berücksichtigen und sich immer wieder sagen: Rezession – na und?