Mit dem Oktober beginnt traditionell die stärkste Periode an der Börse. Auch in diesem Jahr stehen die Chancen für eine Jahresendrally nicht schlecht – trotz politischer Unsicherheit in den USA und Europa. Diversifikation ist allerdings angeraten. Insbesondere KI-Werte sind (zu) hoch bewertet.
US-Aktienindizes in lokaler Währung notieren auf Hochständen, doch europäische Anleger haben mit amerikanischen Aktien gemessen am S&P 500 (in Euro) seit Jahresanfang kein Geld verdienen können. Das lag vor allem am starken Rückgang des Dollars. Im 3. Quartal schlossen US-Aktien mit einem Plus von 8% im S&P 500 wieder stärker ab als europäische (+4%). Dazu trug neben den stabilen Währungsrelationen die anhaltende Euphorie um Künstliche Intelligenz (KI) bei. Die Magnificent 7 waren dabei erneut treibende Kraft. Die Märkte profitierten von abnehmenden Sorgen um Zölle und die OBBB („One Big Beautiful Bill”) sorgte für positive Impulse.

Die Geschäftsergebnisse lagen weit über den nach dem „Liberation Day“ deutlich reduzierten Erwartungen: die US-Gewinne wuchsen um 11%, die europäischen um 6%. Analysten blicken aktuell deutlich optimistischer in die Zukunft. Das Verhältnis von Anhebungen der Gewinnprognosen zu Absenkungen ist so gut wie zuletzt im Dezember 2021. Derweil hält der Anstieg des Goldpreises an. Allein im vergangenen Quartal legte das Edelmetall fast 17% zu.
Die EZB hat ihre Hausaufgaben gemacht und die Leitzinsen in den letzten Monaten halbiert. Dies sollte die europäische Wirtschaft stimulieren. In Deutschland dürfte das Infrastrukturpaket für Wachstum sorgen und die Stagnation im kommenden Jahr beenden. Die OECD prognostiziert ein BIP-Wachstum von 1,1% für 2026. Allerdings scheint der beschworene „Herbst der Reformen“ zu verpuffen. Flankierende Maßnahmen für den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme, etwa die Senkung der Energie- und der Lohnnebenkosten, bleiben aus. Damit schwindet die Hoffnung auf einen sich mittelfristig selbsttragenden Aufschwung.
Weitere Unsicherheiten bleiben bestehen. Der Krieg in der Ukraine setzt sich unvermindert fort. Wir sehen aktuell kaum Chancen auf einen zeitnahen Frieden. In Frankreich ist Premierminister Bayrou zudem nach einer verlorenen Vertrauensfrage zurückgetreten. Neuwahlen scheinen vorerst aber ausgeschlossen. Das sorgt für Verunsicherung und Stillstand. Für die Märkte ist dieser politische Stillstand allerdings besser als ein Links- oder Rechtsrutsch, der bei vorzeitigen Neuwahlen zu befürchten wäre.
Trotz der erratischen Politik von Donald Trump erwartet die OECD für das laufende Jahr ein US-Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent. Verantwortlich hierfür sind der ungebrochene KI-Boom und das hohe Fiskaldefizit, welches Wachstum stimuliert. Die Zölle werden das Wachstum leicht ausbremsen. Laut der Wirtschaftsforschung Strategas hat das Finanzministerium der USA bislang zwar 116 Mrd. USD durch Zölle eingenommen. Im Rahmen der OBBB („One Big Beautiful Bill“), wurden aber gleichzeitig 108 Mrd. USD weniger Steuern vereinnahmt. Das heißt: die Zolleinnahmen wurden für Steuererleichterungen amerikanischer Unternehmen genutzt. Zugleich erhalten auch die Konsumenten laut Strategas 150 Mrd. Steuervergünstigungen, dies entspricht einem Wirtschaftsimpuls in Höhe von 0,5% des BIP.
Die Interpretation der aktuellen wirtschaftlichen Lage ist herausfordernd und bedarf besonderer Gründlichkeit. Zwei Beispiele: Der US-Konsum zog im zweiten Quartal wieder deutlich an. Dies ist für die Wirtschaftsentwicklung in den USA besonders wichtig, da der private Konsum etwa zwei Drittel zum BIP beiträgt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Gutverdiener (die oberen 10%) für 49,2% des gesamten Konsums verantwortlich waren. Dies ist der höchste Wert seit 1989 und bedeutet im Umkehrschluss, dass Ausgaben der Mittelschicht und der unteren Einkommen abgenommen haben – ein klares Indiz für die zunehmende Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft.
Die jüngsten Revisionen bei den Arbeitsmarktdaten zeigten, dass 2024 über 900.000 Arbeitsplätze weniger besetzt wurden als bisher angenommen. Zudem fielen auch die letzten Beschäftigungsdaten schwach aus. Der Kapitalmarkt sieht darin ein Risikosignal für das Wirtschaftswachstum. Wir werten diese Daten dagegen nicht als besorgniserregend. Denn die Arbeitslosenquote liegt mit 4,3% weiterhin auf einem historisch niedrigen Niveau. Die abnehmenden Beschäftigungszahlen seit Mai sind unseres Erachtens auf die Unsicherheit der Unternehmen im Rahmen der US-Zollpolitik zurückzuführen. Es gibt tendenziell einen Einstellungsstopp, aber keine größeren Entlassungswellen. Weil die Babyboomer den Arbeitsmarkt verlassen und die Immigration zum Erliegen gekommen ist, sinken gleichzeitig Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Künftig könnte folglich eine geringere Anzahl neugeschaffener Stellen für eine stabile Arbeitslosenquote sorgen. Insgesamt halten wir die Wirtschaftsentwicklung in den USA weiterhin für robust, aber nicht mehr ganz so stark wie im Vorjahr. Die Vieldeutigkeit der Wirtschaftsdaten wird sich künftig kaum ändern. Nachdem Donald Trump zuletzt die Chefin der US-Behörde für Arbeitsstatistik feuerte, wachsen zudem die Zweifel an der Objektivität künftiger Wirtschaftsdaten.

Der vermeintlich schwächelnde Arbeitsmarkt genügte der amerikanischen Zentralbank (FED), um die Leitzinsen um 25 Basispunkte auf ein Leitzinsband von 4% bis 4,25% zu senken. Unseres Erachtens war die Zinssenkung zum jetzigen Zeitpunkt unnötig. Das Zinsniveau sehen wir als moderat restriktiv, aber der Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von nur 4,3% verträgt dies offensichtlich. Die Inflation ist jedoch nach wie vor zu hoch. Die Konsumentenpreise stiegen trotz Zöllen zwar nur leicht auf 2,9% annualisiert an (Kernrate ohne Nahrungsmittel und Energie: 3,1%). Aber man erkennt, dass die zuvor rückläufige Service-Inflation nicht weiter fällt, während die Güterinflation ansteigt und wieder positiv zur Gesamtinflation beiträgt. Ein ausgeprägter Zinssenkungszyklus, der angesichts des politischen Umfelds und der nahenden Berufung eines neuen Vorsitzenden zu erwarten ist, ist nach unserer Einschätzung nicht gerechtfertigt. Er könnte zu einer Überhitzung der Kapitalmärkte und zu einem erneuten Anstieg der Inflation führen.


Die Bewertungen der Aktienmärkte sind hoch. Das durchschnittliche KGV im DAX von ca. 16 liegt über dem 10-Jahres-Durchschnitt von 13. Es regiert die Hoffnung, dass sich der massive Fiskalimpuls der neuen Bundesregierung in höheren Gewinnen deutscher Unternehmen niederschlägt. Das KGV im S&P 500 liegt mit einem KGV von 25,7 stark über dem historischen Durchschnitt von rund 15. Laut einer aktuellen Studie von Goldman Sachs halten amerikanische Haushalte mittlerweile rund 38% des US-Aktienmarkts. Addiert man die indirekten Investments via Fonds und ETFs hinzu, dann sind Privathaushalte ein sehr gewichtiger Spieler am amerikanischen Aktienmarkt. Diese Investoren zeichnen sich weniger preissensitiv und akzeptieren höhere Bewertungen für US-Unternehmen, insbesondere Technologie-Aktien, die erneut die Zugpferde für den amerikanischen Markt waren. Die Ergebnisse der übrigen US-Aktien fielen dagegen im Vergleich mit internationalen Konkurrenten eher mittelmäßig aus. Passive Investoren sollten sich der Konzentrationsrisiken bewusst sein. Der Anteil der MAG 7 am S&P 500 beträgt inzwischen rund ein Drittel. Der Index hat also eine deutlich riskantere Struktur und insbesondere der KI-Trend wird künftig über den Erfolg des Aktienmarktes entscheiden.
Künstliche Intelligenz ist ein Megatrend mit massivem Transformationspotential und wird viele Bereiche des Lebens verändern. Aktuell erleben wir eine Sonderkonjunktur durch außerordentliche Investitionen in und um KI, vorzugsweise in Datenzentren. Aber sind die aktuellen Investitionen wirtschaftlich sinnvoll und zahlen sich zukünftig aus?
Die Datenzentren sollen die Rechenleistung für die künftige Monetarisierung des KI-Trends liefern. Experten erwarten für das Jahr 2025 Investitionen in Rechenzentren von ca. 400 Mrd. USD. Gleichzeitig aber bringen die Zentren nach aktuellen Umsatzprognosen nur etwa 20 Milliarden Dollar jährlichen Umsatz. Wesentliche Investitionen bei den Datenzentren fließen in Bau- und Standortkosten (Grundstück, Gebäude), in Infrastruktur und Ausstattung (Server, Netzwerktechnik, Kühlung, Chips) sowie in Energieversorgung (oftmals langjährige Abnahmeverträge). Insbesondere die Investitionen in Chips und Ausstattung müssen aufgrund ihres kurzen Lebenszyklus schnell abgeschrieben werden. Konservative Schätzungen gehen von einem jährlichen Abschreibungsaufwand in der Größenordnung von 40 Mrd. USD aus, d.h. etwa das Zweifache der jährlichen Umsätze. Dementsprechend verbrennen Investments in Rechenzentren momentan viel Geld ohne unmittelbaren Ertrag. Dennoch investieren die großen Technologieunternehmen in höchstem Maße, weil sie fürchten, ansonsten im KI-Rennen abgehängt zu werden. Die geplanten KI-Investitionen im Jahr 2025 übersteigen dabei die im vorherigen Geschäftsjahr eingenommenen Barmittel (Free Cash Flow) teils deutlich.

Die Investitionsoffensive lässt sich nur bei einem großen kommerziellen Erfolg rechtfertigen. Neben den profitablen Unternehmen investieren aber auch Hoffnungswerte wie das KI-Cloud-Unternehmen Coreweave (3,5 Mrd. USD Umsatz, Nettoverlust 1,1 Mrd. USD bei ansteigender Verschuldungsquote) oder Chat-GPT-Mutter OpenAI (Umsatz 3,7 Mrd., Verlust 5 Mrd. USD) massiv in Rechenzentren. Nvidia investierte jüngst in beide Technologieunternehmen und sorgt so für den zukünftigen Absatz seiner Chips. Zuletzt schloss OpenAI einen Vertrag über 300 Mrd. USD für Cloud-Leistungen von Oracle über eine Laufzeit von 5 Jahren, beginnend im Jahr 2027. Das ist ein bemerkenswertes Investment für ein verlustschreibendes Unternehmen, das zudem noch nicht die nötigen Umsätze aufweisen kann, um derartige Kosten künftig auch nur annähernd zu decken.
Die Unternehmensberatung Bain & Co. warnte in ihrem „Global Technology Report“, dass KI-Unternehmen ab 2030 etwa 2 Billionen USD an jährlichen Umsätzen generieren müssen, um die Investitionen zu rechtfertigen. Bain hält dies nicht für realistisch und rechnet aufgrund der hohen Kosten für Rechenzentren mit einer Umsatzlücke von 800 Mrd. USD. Wir halten die führenden Technologiefirmen für stärker als vergleichbare Unternehmen zur Zeit der Dot-Com-Blase. Das Risiko bei ihnen ist daher geringer. Verwundbar sind aber nicht profitable Unternehmen. Wenn die Investitionsausgaben künftig reduziert werden, sind die hohen Bewertungen vieler Technologieunternehmen nicht tragbar. Eine Kurskorrektur wäre unvermeidbar. Zuletzt schnitten aber gerade unprofitable Unternehmen besser als der Markt ab – in der Vergangenheit war das häufig ein Indikator für eine Überhitzung. Das heißt nicht, dass eine Korrektur unmittelbar bevorsteht. Aktien entwickeln sich spät im Konjunkturzyklus häufig robust, vor allem bei fiskal- und geldpolitischer Unterstützung und niedrigem Rezessionsrisiko. Die Risiken sind aber unverkennbar. Unsere Maxime lautet daher weiterhin: Mit breiter Diversifikation und Fokus auf Qualitätsunternehmen im Markt bleiben, keine Investments in unprofitable Unternehmen vornehmen und ein Übergewicht außerhalb von US-Aktien suchen.
Für die weitere Entwicklung an den Anlagemärkten sind wir vorsichtig optimistisch. Eine Jahresendrallye ist durchaus möglich. Denn aus makroökonomischer Sicht gibt es keinen Grund für einen Abschwung. Auf die politischen Risiken hat der Finanzmarkt zwar im Frühjahr reagiert. Inzwischen lassen sich die Anleger von Zolldiskussionen und den sehr beunruhigenden innenpolitischen Szenarien in den USA aber nicht irritieren. Die makroökonomisch fragwürdigen Zinssenkungen in den USA dürften zudem zunächst positiv auf den Aktienmarkt wirken. Allerdings müssen Anleger berücksichtigen, dass sich wichtige Grundpfeiler verändert haben. Die Effekte der großen geopolitischen Verschiebungen und der Trend zur Deglobalisierung werden anhalten.
Trotz der hohen Bewertungen ist ein Engagement am Aktienmarkt unverzichtbar. Wegen des schwächeren Dollars und des positiveren Bildes zur Konjunkturentwicklung präferieren wir im Moment Europa. Die Fiskaleffekte dürften sich positiv auf das Wachstum und die Unternehmensgewinne auswirken. In den USA steigen dagegen die Korrekturrisiken aufgrund der hohen Bewertungen. Zudem gibt es Warnsignale, weil nur wenige Technologietitel den Markt ziehen. Die Aussichten für die Entwicklungsländer haben sich verbessert. China profitiert vom schwachen US-Dollar und nimmt ebenso wie Taiwan und Südkorea Fahrt auf. An Technologiewerten kommt weiterhin niemand vorbei. Sie sollten aber nicht zu hoch gewichtet werden. Banken und andere Finanzwerte dürften vom stärkeren Wachstum profitieren.
Anleihen mischen wir als defensive Komponenten bei. Angesichts der leicht steigenden langlaufenden Renditen nach der Zinssenkung der FED und der hohen Staatsverschuldung halten wir unser Anleiheportfolio defensiv ausgerichtet. Die Duration ist eher kurz, um Zinsänderungsrisiken zu minimieren. Weil die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen sehr gering sind, bevorzugen wir erstklassige Bonds mit Investment-Grade-Rating. Gold ist weiterhin eine wichtige Depot-Beimischung. Zwar ist der Goldpreis seit Jahresbeginn 2024 rasant gestiegen und hat allein in diesem Jahr 36 neue Allzeithochs aufgestellt. Mehrere Gründe sprechen jedoch für eine Fortsetzung der Goldhausse: Die Zentralbanken diversifizieren ihre Währungsreserven und setzen vermehrt auf Gold, der US-Dollar und die US-Leitzinsen sinken und die Inflationsgefahren werden nach wie vor unterschätzt.