Wenn die Tage kürzer werden und die Blätter sich golden färben, macht sich an den Börsen oft eine gewisse Nervosität breit. Der September hat sich über die Jahrzehnte hinweg den Ruf erarbeitet, der schlechteste Monat für Aktienmärkte zu sein – ein Ruf, der tief in der Psyche vieler Anleger verankert ist. Doch ist dieser Ruf gerechtfertigt oder handelt es sich um einen hartnäckigen Mythos?
Die historische Entwicklung der Börsenkurse scheint die September-Schwäche zu bestätigen. Sowohl der Dow Jones Industrial Average als auch der S&P 500 Index zeigen im September langfristig betrachtet niedrigere Renditen als in anderen Monaten. Und diese Tendenz ist nicht auf die USA beschränkt: Auch europäische und asiatische Indizes schneiden im September tendenziell schwächer ab. Die Daten sprechen eine deutliche Sprache: Der September ist historisch gesehen ein schwieriger Monat für Aktienmärkte weltweit.
Neben den nackten Zahlen spielt die Psychologie der Anleger eine entscheidende Rolle. Die weit verbreitete Erwartung eines schwachen Septembers kann sich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung auswirken. Viele Anleger rechnen fest mit sinkenden Kursen und verkaufen frühzeitig ihre Aktien, um möglichen Verlusten zuvorzukommen. Dieser kollektive Verkaufsdruck erhöht das Angebot an Aktien und drückt die Kurse tatsächlich nach unten. So verstärkt sich die negative Stimmung selbst und führt zu einem Teufelskreis, der den September für Anleger zu einer echten Herausforderung macht.
Neben der Psychologie gibt es auch strukturelle Gründe für die September-Schwäche. Nach dem Sommer neigen viele Unternehmen und institutionelle Investoren dazu, ihre Portfolios neu auszurichten und Gewinne mitzunehmen, die sich im Laufe des Jahres angesammelt haben. Dieser Prozess der Gewinnrealisierung führt zu einem erhöhten Verkaufsdruck auf die Märkte, was die Aktienkurse zusätzlich belasten kann. Zudem kehren viele Marktteilnehmer aus dem Sommerurlaub zurück und nehmen ihre Handelsaktivitäten wieder auf, was zu erhöhter Volatilität führen kann.
Ein weiterer Faktor, der oft übersehen wird, ist der sogenannte „Window Dressing“-Effekt. Institutionelle Anleger, wie beispielsweise Fondsmanager, versuchen zum Quartalsende, ihre Portfolios möglichst attraktiv zu präsentieren. Dazu verkaufen sie Aktien, die sich schlechter entwickelt haben, um in ihren Berichten besser dazustehen. Diese Verkäufe erhöhen den Druck auf den Markt zusätzlich und können zu fallenden Kursen führen.
Doch es gibt eine bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel: In Jahren mit US-Präsidentschaftswahlen zeigt sich der September oft robuster. Die Unsicherheit rund um die Wahlkämpfe und die möglichen politischen Veränderungen führt dazu, dass Anleger anders agieren. Während in normalen Jahren Vorsicht dominiert, setzen viele Anleger in Wahljahren auf mögliche positive wirtschaftliche Entwicklungen, abhängig davon, welcher Kandidat als Favorit gilt. Diese Erwartungen können die übliche September-Schwäche ausgleichen und sogar zu einer positiven Performance führen.
Trotz all dieser Gründe, die für einen schwachen September sprechen, sollten Anleger nicht in Panik verfallen und versuchen, den Markt zu timen. Market-Timing – der Versuch, durch gezieltes Ein- und Aussteigen aus dem Markt die besten Renditen zu erzielen – ist in den meisten Fällen ein fruchtloses Unterfangen. Es ist nahezu unmöglich, den perfekten Zeitpunkt für Käufe und Verkäufe vorherzusagen.
Stattdessen ist es ratsam, eine langfristige, diversifizierte Anlagestrategie zu verfolgen, die auch Marktschwankungen übersteht. Für geduldige Anleger kann die September-Schwäche sogar eine Gelegenheit sein, um Aktien zu günstigeren Preisen nachzukaufen. Oft folgt auf den schwachen September eine Jahresendrally, in der die Kurse wieder anziehen. Wer in der Lage ist, diese Schwankungen langfristig auszusitzen, wird in der Regel besser abschneiden als diejenigen, die versuchen, den Markt zu überlisten.
Der September mag zwar historisch gesehen ein herausfordernder Monat für Anleger sein, doch er ist kein Grund zur Panik. Mit einer soliden Anlagestrategie und einem kühlen Kopf können Anleger auch diese turbulente Zeit meistern und langfristig erfolgreich sein.