„Sei gierig, wenn andere ängstlich sind“, so lautet eines der berühmtesten Börsen-Bonmots von der Investorenlegende Warren Buffett. Zugleich ein Kernsatz des Value Investing. Man darf sich nicht von Stimmungen am Markt treiben lassen, sondern im Gegenteil muss dann zugreifen, wenn der Aktienkurs von guten Unternehmen durch Angst stark gedrückt worden ist. Für gierige Zeitgenossen ist an der Börse derzeit ein guter Zeitpunkt. Zumindest wenn es nach dem „Angst-und-Gier-Index“ (Fear & Greed-Index) auf dem online Portal von „CNN Money“ geht. Dieser Index findet weltweit eine große Beachtung und gibt einen Überblick über die aktuell vorherrschende Emotion am Markt.
Denn Menschen werden nach der Verhaltensökonomie von den zwei Emotionen Gier und Angst getrieben. Diese Emotionen haben einen markanten Einfluss auf die Börsenkurse. Zu viel Angst kann die Aktien weltweit unter das Niveau sinken lassen, auf dem sie sich aus fundamentaler bzw. wirtschaftlicher Sicht befinden sollten. Bei der Gier ist genau das Gegenteil der Fall. Die Gier führt dazu, dass die Aktienkurse zu weit nach oben getrieben werden. Der Fear & Greed-Index funktioniert wie eine Tacho-Nadel. Null Punkte auf der Skala stehen für größtmögliche Angst und niedrigen Kursen, 100 Punkte zeigen extreme Gier an, also komplette Euphorie, alle kaufen, die Preise steigen. Aktuell steht die Nadel bei 38 Punkten im Feld der Angst.
Der Fear & Greed Index wird aus 7 Indikatoren in einem aufwendigen Verfahren börsentäglich berechnet. Er findet unter Investoren eine hohe Beachtung und gibt immer einen guten Einblick über die aktuell vorherrschende Stimmung am Markt. Denn auch wenn mittlerweile viele Robo Advisor über Algorithmen-basierte Systeme die Entscheidungen treffen, besteht die Mehrheit der Investoren immer noch aus Menschen. Der Index versucht eine Aussage darüber zu treffen, ob Aktien gerade eher fair-, über- oder unterbewertet sind. Vergleicht man S&P 500 Index und Fear & Greed Index miteinander, gelang dies in den letzten Jahren relativ gut. Allerdings lesen sich Charts im Nachhinein immer deutlicher, als sie im jeweiligen Moment erscheinen. Ein hoher Index-Stand ist somit ebenso wenig ein klares Verkaufssignal, wie ein niedriger Wert bedeutet, dass man sein Geld blind in den Markt pumpen sollte. Eine exakte Wissenschaft ist der Fear & Greed-Index mit Sicherheit nicht. Vereinfacht gesagt sind Aktien bei Angst billig und bei Gier teuer.
Der erste Handelsmonat im neuen Jahr hat zumindest dafür gesorgt, dass die Aktien billiger geworden sind. Vor allem Wachstumstitel mussten teilweise heftige Kursverluste hinnehmen. Der Nasdaq-Index hat mit mehr als -11 Prozent seinen bislang schwächsten Jahresstart seit 2008 hingelegt. Auch der breiter gefasste S&P 500 gab im Januar um 5,3 Prozent nach und verbuchte damit die größten monatlichen Verluste seitdem von der Corona-Pandemie ausgelösten Crash im März 2020. Am deutschen Aktienmarkt fiel der Januar ebenfalls ernüchternd aus. Auf Monatssicht büßte der DAX gut 400 Punkte ein. Für viele Investoren kam der Stimmungswandel vermutlich überraschend. Hatte doch die klassische Jahresendrally in vielen Depots für gute Stimmung gesorgt.
Aber das Jahr 2021 war auch ein außergewöhnliches Börsenjahr. Weder beim Dax noch beim S&P 500 gab es nennenswerte Korrekturen. Im Grunde kletterten die Indizes wie an der Schnur gezogen nach oben. Das neue Jahr wird sicherlich wieder gewöhnlicher und Korrekturen sollten die Anleger einplanen. Denn die Notenbanken, allen voran die Fed, verändern ihre Geldpolitik. Die Zinsen in den USA werden steigen, der Markt rechnet mittelweile mit bis zu 4 Zinsschritten im laufenden Jahr. Eine solche Änderung wird mit Sicherheit nicht geräuschlos vonstattengehen. Abgesehen davon befindet sich die globale Wirtschaft immer noch in einer Pandemie.
Bei solchen Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass die Untergangspropheten wieder zurück sind. Im letzten Jahr war es ruhig um die Berufspessimisten geworden. Jetzt wittern sie scheinbar wieder Morgenduft und machen hörbar auf sich aufmerksam. Allen voran warnt Harry S. Dent Anleger vor einem Crash nie dagewesenen Ausmaßes im Jahr 2022. Um 90 Prozent sieht der Crash-Prophet den S&P500 in diesem Jahr einbrechen. Allerdings wird der Zusammenbruch in Wellen erfolgen. Zunächst könnten die Kapitalmärkte um rund 40 Prozent nachgeben, ehe es im Rahmen eines Bärenmarktes zu einem Verlust von 90 Prozent käme. Aber bereits 2023 wird einer neuer Boom-Zyklus an den Märkten starten. Dieser soll dann sogar bis 2039 anhalten. Nicht so dramatisch, aber immer noch mit einem Rücksetzer von 40 Prozent meldet sich der deutsche Ökonom Marcel Fratzscher zu Wort. Der DIW-Chef sieht die globalen Aktienmärkte von der Realwirtschaft entkoppelt und rechnet fest mit einer Korrektur.
Mit solchen Prognosen bekommt man die zu erwartende Aufmerksamkeit. Diese ist vor allem dann nützlich, wenn ein neues Buch des jeweiligen Autors erscheint. Gerade deutsche Anleger brauchen Gründe, um gerade jetzt nicht in den Markt einzusteigen. Dabei weiß doch jeder „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“. So lautet ein beliebtes Zitat, das Mark Twain, Karl Valentin, Niels Bohr oder auch Winston Churchill zugeschrieben wird. Dabei erscheinen Konjunkturprognosen besonders schwierig zu sein. Denn rückblickend sind die Trefferquoten erschreckend gering. Trotzdem vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein Wirtschaftsinstitut, eine Bank, ein Handels- oder Industrieverband oder ein Ökonom darüber orakeln, wie sich die Konjunktur entwickeln wird. Untersuchungen haben gezeigt, dass die statistische Zuverlässigkeit denen von Horoskopen gleicht. Stattdessen sollten Anleger lieber einen Blick auf den Fear & Greed-Index werfen. Demnach sind Aktien derzeit preiswert bewertet. Aber bitte immer an eines denken: „Kaufe nie eine Aktie, wenn du nicht damit leben kannst, dass sich der Kurs halbiert!“ (Warren Buffet).