Rosenkriege sind im Kino unterhaltsam, im realen Leben können sie häufig existenzbedrohend sein. Zumindest gefährdet der Brexit gerade die Existenz der Regierung von Premierministerin Theresa May. In Sachen EU-Austritt ist May gefangen in den Grabenkämpfen zwischen dem proeuropäischen Flügel ihrer Partei und den Brexit-Anhängern. Beide Seiten setzen der Regierungschefin immer wieder die Pistole auf die Brust. Der Unterhaltungswert für alle Beteiligten ist derzeit allerdings eher gering. Ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin könnte kurz bevorstehen.
Dabei ist eine Scheidung im Vereinigten Königsreich generell nicht so einfach möglich. Zumindest in England und Wales. Dort dürfen Ehen nur geschieden werden, wenn beide Partner zustimmen. Erst vor wenigen Monaten hat der Oberste Gerichtshof in Großbritannien noch entschieden, dass sich eine 68-Jährige nach 40 Jahren Ehe nicht scheiden lassen darf. Der Scheidungsgrund, sie sei unglücklich in der Ehe, reichte dem Gerichtshof als Begründung nicht aus. Der Ehemann stimmte der Scheidung nicht zu. In den Jahren habe man gelernt miteinander auszukommen, obwohl auch er zugeben musste, dass die Beziehung „emotional nicht intensiv“ sei. Die Scheidung kann nur vollzogen werden, wenn das Paar seit mindestens fünf Jahren getrennt lebt. Die Klägerin muss also bis 2020 mit ihrem Mann zusammenbleiben, da sie das gemeinsame Heim im Februar 2015 verlassen hat.
Wirklich emotional war die Beziehung von Großbritannien zur EU in den letzten 45 Jahren auch nicht. Leidenschaft sieht vermutlich anders aus und eine wahre Liebe der Inselbewohner zu Europa hat sich nie eingestellt. Es war aber immerhin all die Jahre zumindest eine Mehrheit der Briten für die Zugehörigkeit in der EU. Historische Meinungsumfragen zwischen 1973 und 2015 zeigten zumeist deutliche Mehrheiten für einen Verbleib in der EWG oder EU. Das Ergebnis des Brexit-Referendum 2016 war dann auch mit einer Zustimmung für den Brexit in Höhe von 51,9 Prozent relativ knapp. Das Ganze ist jetzt länger als 2 Jahre her und seitdem wird um die Ausstiegsmodalitäten gestritten. Erst mit den restlichen EU-Partnern und dann, nachdem die 585 Seiten starken Trennungspapiere auf dem Verhandlungstisch liegen, innerhalb der britischen Regierungskoalition. Dabei ist die Streitkultur im britischen Parlament speziell und so ganz anders als man es im Rest von Europa gewöhnt ist. Dies wird schon durch die Sitzordnung im britischen Parlament deutlich. Die beiden großen Fraktionen sitzen sich gegenüber, sie ist auf Konfrontation ausgelegt. In der politischen Debatte nimmt man wenig Rücksicht, der Kampf mit allen Mitteln gehört zur britischen Parlamentskultur. Legendär in diesem Zusammenhang der Wortwechsel zwischen der Frauenrechtlerin Nancy Astor und der Polit-Ikone Winston Churchill in den 20er Jahren: „Sir, wenn Sie mein Ehemann wären, würde ich Ihren Drink vergiften.“ – “Madam, wenn Sie meine Ehefrau wären, würde ich ihn trinken.“
Mittlerweile droht den Briten die Zeit davon zu laufen. Am 29. März 2019 will sich Großbritannien endgültig aus der EU verabschieden. Wie ein Damoklesschwert hängen derzeit die Brexit-Sorgen über den Börsen. Für ein Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May fehlten einem Zeitungsbericht zufolge zuletzt nur sechs Stimmen. Sollte es zu einem Misstrauensvotum kommen und May tatsächlich stürzen, müssten sich die Briten innerhalb weniger Wochen politisch neu aufstellen, um mit einer neuen Regierungschefin oder einem neuen Regierungschef in die Verhandlungen mit der EU zurückzukehren. Selbst wenn es nicht zu einem Misstrauensvotum gegen die Premierministerin kommt, muss Theresa May den Entwurf für das Brexit-Abkommen durch das Parlament bringen. Dabei kann sie sich nicht auf eine sichere Mehrheit im Unterhaus stützen.
Die EU demonstriert währenddessen weiterhin Einigkeit. Allerdings zeigt sich auch jetzt schon ein erster Riss. Plötzlich droht Spanien das Austrittsabkommen zu verhindern. Das Land verlangt Gibraltar aus den Brexit-Verhandlungen auszunehmen. Denn Spanien erhebt nach wie vor Anspruch auf das Gebiet, das im Jahr 1713 an Großbritannien fiel. Madrid befürchtet, dass der Brexit-Deal den Status Gibraltars als Teil Großbritanniens praktisch festschreiben könnte. Deswegen darf ohne Spaniens Zustimmung kein Abkommen zwischen der EU und London auf Gibraltar angewendet werden. Das haben die EU-Staats- und Regierungschefs in die Richtlinien für die Brexit-Verhandlungen geschrieben. Damit hat man Spanien praktisch ein Vetorecht eingeräumt. Das Thema beinhaltet auf beiden Seiten durchaus diplomatischen Sprengstoff und wird von den Hardlinern in beiden Lagern sehr emotional geführt. Das zeigte sich bereits am Anfang der Brexit-Verhandlungen, als es erstmals aufkam. Manch britischer Politiker drohte damals gar mit der Marine.
Viele Beobachter werden mittlerweile nervös. Die EU schließt Nachverhandlungen konsequent aus. Das Szenario eines „harten Brexit“, also eines Ausstiegs Großbritanniens aus der EU ohne Vertrag, ist in den letzten Tagen wieder wahrscheinlicher geworden. Die Folgen, vor allem für Großbritannien, wären verheerend. Dem Land drohen dramatische Versorgungsengpässe mit Lebensmitteln, Kraftstoff und Medikamenten, sollte das Land die EU ohne ein Handelsabkommen verlassen. Nicht ohne Grund trägt ein viel diskutiertes Szenario im neugegründeten Ministerium für den Austritt aus der Europäischen Union den düsteren Namen „Armageddon“. Der Hafen von Dover würde „an Tag eins kollabieren“, in den Supermärkten in Cornwall und Schottland gäbe es innerhalb weniger Tage keine Lebensmittel mehr und in den Krankenhäusern würden nach zwei Wochen die Medikamente knapp. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die Wachstumsverluste für die britische Wirtschaft im Falle eines harten Brexits auf vier Prozentpunkte in fünf Jahren. Diese Erschütterung wäre auch im Rest Europas deutlich zu spüren. Der Konjunkturaufschwung in der Eurozone würde deutlich gedämpft. Noch ist ein solches „Worst-Case-Szenario“ in den Börsenkursen nicht vollständig eingepreist.
Die Briten haben eine Leidenschaft für Wetten, es ist ein Teil ihrer DNA. Deutsche England-Reisende waren schon im 18. Jahrhundert erstaunt über die Wettfreudigkeit der Engländer. Gerade in der Oberklasse sind Wetten aller Art sehr beliebt. So mancher Adeliger setze in der Vergangenheit sein gesamtes Vermögen auf eine einzige Wette und verlor sein Hab und Gut. Es bleibt zu hoffen, dass die Brexit Hardliner nicht die Zukunft ihres Landes „verzocken“. Vorbeugend hatte man sich schon im Frühjahr auf eine Brexit-Übergangsphase geeinigt. In der 21-monatige Frist nach dem Austritt besteht die Chance, viele der offenen Themen zu klären. Ende 2020 wären die Briten dann endgültig von der EU „geschieden“, im gleichen Jahr wie die „unglücklich verheiratete“ Klägerin aus England.