„Anlegern alle möglichen ETFs anzubieten sei, wie wenn man Brandstiftern Streichhölzer gebe“, mit diesen Worten kommentierte John C. Bogle vor einigen Jahren das rasante Wachstum der ETFs (Exchange Traded Funds) im Finanzmarkt. Eine interessante Aussage, vor allem vor dem Hintergrund das John C. Bogle, genannt Jack, als der Erfinder der Indexfonds gilt. Der im Januar dieses Jahres verstorbene Ökonom wird in den USA von Kleinanlegern verehrt wie ein Volksheld. Seine Anhänger bezeichnen sich selbst als „Boggleheads“ und für sie war er einfach nur „Saint Jack“, ihr Heiliger. Allerdings ein kapitalistischer Heiliger. Denn im Gegensatz zum deutschen Nachwuchssozialisten Kevin Kühnert, für den bezahlbares Wohnen ein Menschenrecht darstellt, war es für John Bogle die Geldvermehrung.
Als guter Ökonom und Kaufmann hat „Jack“ schon früh erkannt, dass der Gewinn vor allem im Einkauf liegt. Geldvermehrung für Investoren verträgt sich aber nur bedingt mit den überhöhten Gebühren einer profitgierigen Fondsbranche. Mit seiner Idee hat er die Welt der Geldanlage nachhaltig verändert. Nach dem Abschluss an der US-Eliteuniversität Princeton und einigen Jahren bei der Investmentfirma Wellington Management gründete er 1974, mit Mitte 40, sein Fondsunternehmen Vanguard. Am 31. August 1976 legte er in den USA den ersten Indexfonds auf. Er ließ seine Mitarbeiter wissen, dass man sich von nun an am Mittelmaß orientieren werde. Keiner seiner Mitarbeiter sollte mehr versuchen, die Aktien oder Anleihen aufzuspüren, die für die Zukunft die besten Kurszuwächse versprachen. Sein Konzept war bestechend einfach. Der Fonds bildete einfach nur den Aktienindex S&P 500 ab, also Aktien der 500 wichtigsten US-Unternehmen. Kein aufwendiges Fondsmanagement, keine hohen Verwaltungskosten. Kein Wunder das die Finanzindustrie zu Beginn wenig Gefallen an seiner Fondskonstruktion fand.
Auch wenn die Investorenlegende Warren Buffet später zu seinen größten Fans gehörte, hatte er in der Investmentindustrie nicht viele Freunde. Die Orientierung am Mittelmaß schien zu Beginn vielen Amerikanern als „unamerikanisch“. Entsprechend holprig war der Start seines ersten Indexfonds. Geplant war ein Volumen von 150 Millionen Dollar, am Ende sammelte er gerade einmal 11,3 Millionen Dollar am Kapitalmarkt ein. Für einen Investmentfonds zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Es war ein beschwerlicher Weg für „Jack“ und sein Unternehmen Vanguard. In den 1980er Jahren interessierte sich nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Anlegern für seine Fonds, in den 90er Jahren wurden es mehr, ab den 2000er Jahren lief es dann so richtig rund. Mittlerweile haben US-Amerikaner die schwer vorstellbare Summe von rund 280 Milliarden Dollar dort angelegt. Mit einem verwalteten Vermögen von 3500 Milliarden Dollar ist Vanguard mittlerweile die zweitgrößte Fondsgesellschaft der Welt. In Deutschland ist die Fondsgesellschaft allerdings erst im Herbst 2017 gestartet.
Dabei sind ETFs besonders in Deutschland seit einigen Jahren sehr beliebt. An der Deutschen Börse sind so viele notiert wie sonst nirgendwo außerhalb der USA. Obwohl viele deutsche Anleger kaum eine Vorstellung davon haben, wofür die drei magischen Buchstaben ETF stehen, werden die Produkte eifrig in die Depots gekauft. Verbraucherschützer lieben sie und rühren eifrig die Werbetrommel. Denn passives Investieren ist preiswert und für viele Deutsche ist Geiz irgendwie immer noch geil. In den 90er und Millennium Jahren finanzierte „Stupid German Money“ über Medienfonds die US-amerikanische Filmindustrie und dank der Schiffsbeteiligungen die globale Handelsflotte. Steuerliche Abschreibungen war damals die einzige Motivation. Spätestens seid der Finanzkrise ist passives Investieren sexy. Bei Untersuchungen über das Finanzwissen belegen deutsche Anleger dagegen häufig die letzten Plätze.
Der „Vater des passiven Investments“ hat das starke Wachstum der ETFs in den letzten Jahren scharf kritisiert. Denn die mittlerweile gehypten ETFs unterscheiden sich in einem ganz wichtigen Detail von Bogles Original. ETF steht für Exchange Traded Funds, börsengehandelte Indexfonds. Man kann sie, im Unterschied zur Ursprungsidee, jederzeit über die Börse kaufen und verkaufen. Sie verstoßen damit gegen einen Grundsatz von Bogles Investmentphilosophie. In seine Augen sollten Investitionen dauerhaft angelegt sein, permanentes Handeln lehnte er ab. Börsengehandelte Indexfonds dagegen förderten die Spekulation und stellen eine permanente Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems dar. Inzwischen warnen auch andere bedeutende Ökonomen und Wissenschaftler vor den Gefahren der ETFs. Aber um die potentiellen Gefahren zu verstehen, muss man aber die Besonderheiten von ETFs kennen.
Wenn viele Anleger einen ETF auf einen Index, beispielsweise den Dax, kaufen wollen, wird er knapper, und damit steigt der Kurs des ETF. Ganz so wie bei Aktien eines Unternehmens. Allerdings ist das bei einem ETF ein Problem. Wenn der Wert des ETF stärker steigt als die Kurse der Aktien, die darin liegen, dann bildet der ETF nicht mehr den Wert dieses Aktienkorbes akkurat ab. Es entsteht ein Unterschied zwischen dem Preis der Aktie im freien Handel und dem Preis der Aktie, die sich in dem ETF-Korb befindet. Das ruft spezielle Händler auf den Plan. Sie bemerken das Ungleichgewicht und kaufen nun schnell Dax-Aktien an, womit diese Aktien teurer werden. Die gekauften Aktien wiederum übergeben sie dem Herausgeber des ETF. Der verwandelt die Dax-Wertpapiere in neue ETF-Anteile, die nun die Anleger kaufen können. Mit ihren Aktienkäufen treiben die Spekulanten erstens die Kurse der Dax-Aktien nach oben. Mit den daraus gebildeten neuen ETF-Anteilen steigt zweitens dessen Angebot, und der ETF-Kurs sinkt entsprechend. Das hat zur Folge, dass der Wert der Papiere im Korb sich wieder dem Wert angleicht, zu dem der ganze Korb gehandelt wird. Durch diese ständige Arbitrage kann es zu kurzzeitigen Verzerrungen der Bewertungen von Unternehmen kommen.
Für die Arbitrageure, die von den Fondsgesellschaften beauftragten Spezialhändler, sind diese Preisverzerrungen der Aktien ihr Verdienst. Sie summieren sich am Ende auf Milliarden. Denn die ETFs haben auf den gesamten Aktienhandel wie ein Turbo gewirkt. Die Fondsanteile wechseln viermal so oft die Hände wie normale Aktien. Bereits 2015 belief sich das jährliche ETF-Handelsvolumen in den USA auf mehr als 18 Billionen Dollar. Dabei verdienten die Spekulanten rund neun Milliarden Dollar, mehr als die Herausgeber der ETFs, die „nur“ 6 Milliarden Dollar über Gebühren einnahmen. Ein Geschäft, das sich mittlerweile an der Wall Street keiner mehr entgehen lassen will. Viele Trittbrettfahre spekulieren im Hintergrund mit und das führt zu teilweise heftigen Kursbewegungen einzelner Aktien. Am 24. August 2015 sackten in den USA beispielsweise die Kurse von etwa 100 ETF ab, und zwar deutlich stärker als die Aktienkörbe, die sie abbildeten. Viele Beobachter vermuten dahinter die fehlerhafte Arbitrage einzelner Aktien. Kritiker bezeichnen ETF als ein „typisches Produkt guter Zeiten“ und warnen vor einer Kettenreaktion bei einer Krise. Anleger sollten bei einer Anlage in ETFs bedenken, dass sie sich einem ähnlichen Risiko aussetzen wie bei einer Anlage in Einzelaktien. Mit einem „Sorglos-Pantoffel-Portfolio“, mit dem Verbraucherschützer gerne werben, hat so eine Anlage eigentlich nicht viel gemein.
Zugegeben, bei marktbreiten großen Indizes ist die Gefahr einer Illiquidität im Markt eher gering und theoretischer Natur. Allerdings ist die Finanzindustrie sehr erfindungsreich darin immer neue ETFs und Variationen auf den Markt zu werfen. Wall-Street-Tüftler konstruierten ETFs, mit denen Anleger in Öl, Gold oder Agrarprodukte investieren können. Auch ein Bitcoin-ETF wartet schon seit Monaten auf die Freigabe durch die Aufsichtsbehörden. Der neuste Trend im Markt sind Multi-Faktor-ETFs oder Smart-Beta-ETFs. Solche Konstruktionen verstehen nur noch Fachleute und auch bei den Kosten unterscheiden sie sich kaum noch von „gewöhnlichen“ aktiven Fonds. Anleger sollten nur in Dinge investieren, die sie verstehen. Finanzinnovationen gehören selten dazu. Man hat den früheren Vorsitzenden der Federal Reserve, Paul A. Volcker, nach einer nützlichen Finanzinnovation im letzten Vierteljahrhundert gefragt. Er konnte nur eine einzige nennen: den Geldautomaten.