Anstelle der regelmäßigen Finanzkolumne bieten wir Ihnen heute Einblicke in den Selektionsprozess von Aktien unserer Vermögensverwaltung. Dazu befragen wir unseren erfahrenen Chief Investment Officer, Herrn Sven Kaiser, CFA.
Kaiser: Zunächst machen wir uns ausreichend Gedanken darüber, welches Ziel wir mit einer Anlageentscheidung erreichen möchten. Das Anforderungsprofil für eine wertstabile Aktie, die durch hohe und konstante Ausschüttungen gekennzeichnet ist, unterscheidet sich deutlich von dem eines aggressiven Wachstumstitels, bei dem sich die Investoren hohe Kursgewinne versprechen.
Kaiser: Wie vor jeder Kaufentscheidung ist es wichtig sich Zeit zu nehmen und ordentlich zu recherchieren. Viele Anleger vernachlässigen diesen immanent wichtigen Aspekt beim Agieren an der Börse. Wenn es z.B. darum geht ein neues TV-Gerät anzuschaffen, dann ist es für viele normal im Vorfeld der Anschaffungen einige Dinge zu prüfen: Wie ausgereift ist die Technik? Wie gut ist die Bildqualität? Gibt es Garantien? Wo ist das Gerät günstig zu kaufen? usw.. Wenn es darum geht in Aktien zu investieren, dann verlassen sich viele Anleger oftmals auf „Börsentipps“ oder kaufen Titel, die Sie häufig in der Zeitung oder im Internet gelesen haben, teilweise ohne genau zu wissen, was diese Unternehmen eigentlichen machen. Viele Menschen sind sehr engagiert sich zu informieren bevor sie Geld ausgeben für eine größere Investition, den Urlaub oder beim wöchentlichen Einkauf, doch bei der Geldanlage lässt der Ehrgeiz häufig nach.
Kaiser: In der Vermögensverwaltung ist für uns von entscheidender Bedeutung, dass wir das Geschäftsmodell des Unternehmens, dessen Aktien wir erwerben wollen, voll und ganz verstanden haben. Wir investieren ausschließlich in Aktien, die wir gut kennen. Warren Buffet hat es treffend formuliert, indem er sagte: „Ein Risiko entsteht, wenn du nicht weißt, was du tust.“ Denn ohne die nötigen Informationen zu sammeln bevor wir investieren, ist das einhergehende Risiko für uns kaum zu bewerten. Dann können wir eben nicht beurteilen oder abschätzen, ob bald eine neue Technologie auf den Markt kommt, die die Produkte der ausgewählten Aktien obsolet werden lassen könnten oder ob ein wichtiges Patent ausläuft. Doch um uns auf den bestmöglichen Informationsstand zu bringen, müssen wir natürlich Zeit investieren.
Kaiser: Wir versuchen die Attraktivität von Geschäftsmodellen in enger Anlehnung an die fünf Wettbewerbskräfte nach Porter zu beurteilen. Dabei erörtern wir die Wettbewerbssituation des Unternehmens in den relevanten Märkten. Herrscht ein großer Konkurrenzkampf oder nicht, und wie ist die Verhandlungsmacht der Kunden und der Zulieferer des Unternehmens. Abzuschätzen, ob es alternative oder neue Produkte gibt, die eine Gefahr für die Geschäftsentwicklung darstellen, gehört ebenfalls dazu. Generell favorisieren wir Unternehmen mit einer möglichst dominanten Marktstellung, die in Märkten mit hohen Eintrittsbarrieren agieren. Dabei fokussieren wir uns eher auf etablierte Märkte, die eine gewisse Prognosemöglichkeit und Transparenz bieten. Einfach gesagt, wir suchen Titel mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen. Entscheidend ist für uns, nicht nur aus einem Grund in eine Aktie zu investieren. Unsere Investitionsentscheidung basiert stets auf mehreren Argumenten, die eine Aktie für uns attraktiv macht. Ein hohes Gewinnwachstum allein, reicht uns als Kaufgrund nicht aus.
Kaiser: Natürlich gibt es noch eine Vielzahl von weiteren Faktoren die wir berücksichtigen, bevor wir eine Investition tätigen. Diese sind jedoch weniger unternehmensspezifisch und weniger spannend, sind aber unverzichtbar. Wir analysieren von jedem potenziellen Wert die Bilanzstruktur, den Liquiditätsbedarf, die Pensionsverpflichtungen und die Bewertung, um einige Faktoren zu nennen. Welchen Vorteil hätte es z.B. in eine Aktie zu investieren, die eine sehr hohe Dividendenrendite aufzeigt, diese aber nicht nachhaltig finanzieren kann und auf absehbare Zeit gekürzt werden muss? Durch eine Analyse der Finanzkennzahlen können solche Risiken größtenteils vermieden werden. Diese Hausaufgaben müssen wir machen, um die Chancen einer erfolgreichen Investition zu erhöhen.
Kaiser: Nachdem wir attraktive Aktien identifiziert haben, schauen wir uns die Bewertung näher an. Wir wollen hier diszipliniert bleiben. Denn wenn die Aktie z.B. ein attraktives Gewinnwachstum verspricht, dieses aber in der Bewertung bereits reflektiert ist, überwiegen aus unserer Sicht klar die Risiken und wir sehen zunächst von einem Investment ab. In diesen Fällen ist es wichtig geduldig zu sein. Unser Ansatz ist es dann Chancen zu identifizieren und zu nutzen, die sich bei Kursrücksetzern ergeben könnten. Wir versuchen also eher antizyklisch zu agieren. Eine sinnvolle Strategie kann es auch sein, in zwei oder drei Tranchen zu investieren. Dabei ist aber zu beachten, dass ggf. zusätzliche Kosten anfallen können. Ein Anleger sollte grundsätzlich geduldig sein und auf den richtigen Zeitpunkt warten zum Investieren, auch wenn dies manchmal schwer fällt.
Kaiser: Wichtig ist es nicht nur in eine oder wenige Aktien zu investieren. Das Depot kann gerne fokussiert, sollte aber immer diversifiziert sein. Dabei heißt diversifiziert nicht, in viele Aktien zu investieren. Ein Depot, das z.B. aus 20 Aktien besteht, die aber alle direkt oder indirekt am Automobilzyklus hängen, beinhaltet zwar eine Fülle an Titeln, ist aber kaum diversifiziert. Insofern sollten auch immer weitere Anlageklassen, wie Anleihen, Rohstoffe und ggf. alternative Anlageformen bedacht werden, um eine bestmögliche Diversifikation zu erreichen.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch Herr Kaiser.
Den regelmäßigen Marktkommentar von Herrn Kaiser finden Sie hier.