Börsenblasen kommen und gehen. Als „Mutter aller Blasen“ gilt in der Finanzwirtschaft die Tulpenhysterie, die in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts große Teile der niederländischen Bevölkerung in Tulpenzwiebel-Spekulanten verwandelte. Angefangen hat alles ganz harmlos. Tulpen waren eher unbekannt. Lediglich eine Handvoll herumgekommener Abenteurer kannten Tulpen aus Armenien oder der Türkei. Ein Diplomat des Herrscherhauses Habsburg schenkte ein paar Tulpenzwiebeln einem der bedeutendsten Botaniker seiner Zeit, Charles de l’Écluse. Dieser züchtete die Pflanze in Holland und nutzte sie vorwiegend als Heilpflanze. Die Niederlande erlebten gerade ihr goldenes Zeitalter, die Kaufleute aus Amsterdam und Haarlem beherrschten den hochlukrativen Ostindienhandel und schwammen förmlich im Geld. Silber und Gold aus aller Welt flossen nach Holland. Die vermögenden Familien drückten ihren Reichtum aus, indem sie große Anwesen mit riesigen Gärten erwarben, überall entstanden Prachtgärten nach italienischen Vorbild. Die Tulpe, als sehr farbintensive Pflanze, avancierte schnell zum Statussymbol. Damen der Oberschicht trugen die Tulpe zu gesellschaftlichen Anlässen als Schmuck im Haar oder am Dekoltée. Trotzdem blieb es zunächst beim klassischen Handel. Blumenzwiebeln wurden pfundweise verkauft – von Gärtnern an die betuchte Kundschaft. Eine ziemlich ärgerliche Eigenschaft der Tulpen hielt allerdings das Angebot knapp. Nur zwei bis drei Zwiebeln entsprossen jährlich der Mutterzwiebel, die selbst nach wenigen Jahren einging. Es dauerte wiederum Jahre, aus Zwiebeln Blumen zu ziehen. So wuchs das Angebot langsamer als die Nachfrage. Die Grundlagen einer Blase waren gelegt.
Die hohe Nachfrage und die hohe Liquidität rief Zwischenhändler auf den Plan, die sich mit Blumenzwiebeln eindeckten, um sie teurer weiterzuverkaufen. Die nächste Stufe war, dass nicht die Blumen selbst gehandelt wurden, sondern die Rechte daran. Die Tulpenzwiebeln blieben in der Erde, die Rechte an ihnen und ihren Abkömmlingen wurden der Gegenstand des Handels. Das war pure Spekulation, konnten die Käufer doch nicht sicher sein, was sie da erworben hatten. Solche Termingeschäfte wanderten von Hand zu Hand, manchmal bis zu zehnmal am Tag. Mit jedem Handel, der nicht an der Amsterdamer Börse, sondern in Hunderten von Spelunken stattfand, stiegen die Preise. Auf einmal wurden alle Bevölkerungsschichten von Tulpenfieber erfasst. Es war kein Wissen, kein Grund und Boden und keine harte Arbeit nötig, die Aussicht auf schnellen Reichtum ließ den Preis der Tulpenoptionen immer weiter steigen. Um ans Startgeld zu kommen, belasteten normale Bürger ihre Häuser, Werkstätten und veräußerten Hof, Hab und Gut. Die Preise für die raren Knollen erklommen haarsträubende Höhen, so wurde 1633 eine Zwiebel zu dem Preis eines stattlichen Hauses in bester Lage gehandelt. Selbst Dummheit schadet bekanntlich nicht, solange sich ein noch größerer Dummkopf findet, der die Tulpenzwiebel teurer abkaufte. In den folgenden Monaten formalisierte sich der Handel. Gruppen taten sich zu sogenannten Kollegien zusammen und veranstalteten Auktionen nach festen Regeln. Die Preise kletterten stetig bis Anfang Februar der Jahres 1637. Bei einer gewöhnlichen Auktion in Harlem fehlte auf einmal der größere Dummkopf. Ein Händler blieb auf seinen Tulpen-Futures sitzen. Das sprach sich schnell herum. Binnen kurzem brach der Markt komplett zusammen. Keiner wollte kaufen, aber alle verkaufen. Die Tulpenwiebeln waren am Ende noch nicht einmal ein Hundertstel ihres Höchstpreises Wert. Die Blase war geplatzt und ruinierte viele Händler.
Heutzutage kann man sich nicht mehr vorstellen, dass weite Teile einer ansonsten durchaus wirtschaftlich erfolgreichen Nation so verrückt sein konnten, für eine einzige Tulpenzwiebel den Wert eines Hauses einzusetzen. Der Mensch des 20. Jahrhunderts ist doch weit aufgeklärter als seine Vorfahren. Wobei die Internet-Blase Ende des letzten Jahrtausends von vielen auch gerne als Tulpenblase der Neuzeit bezeichnet wurde. Auch damals stiegen viele Bevölkerungsschichten in den Aktienhandel ein, kauften Aktien von Unternehmen, die man nicht kannte. Die Aussicht auf schnellen Reichtum blendete auch zu unserer Zeit viele Investoren. Mitunter wiederholt sich jedoch Geschichte und möglicherweise erleben wir gerade den Beginn einer zweiten Tulpenmanie. Diesmal handelt es sich jedoch nicht um eine Tulpenzwiebel, sondern um eine kryptische Währung. Bitcoins sind in aller Munde. Erst vor Kurzem ist der Kurs steil gestiegen. Eine Einheit Bitcoin kostete Anfang März mehr als 1.250 US-Dollar, eine digitale Münze war damit erstmals teurer als eine Feinunze Gold. Jeder will mit Bitcoin handeln, aber kaum einer weiß wirklich wie sie funktioniert.
Satoshi Nakamoto, der Name ist ein Pseudonym für den Softwareentwickler, der Bitcoin 2008 geschaffen hat und dessen Identität bis heute unbekannt ist. Die Idee war es eine digitale Währung zu erschaffen, die losgelöst von zentralen Institution bestehen kann und elektronisch für sehr geringe Kosten übertragen wird. Das Bitcoin Protokoll wurde für maximal 21 Millionen Bitcoins entwickelt. Diese Coins können in kleinere Teile (der kleinste Teil ist ein Hundert-Millionstel) aufgeteilt werden und heißen „Satoshi“ – benannt nach dem Tarnnamen ihres Erfinders. Bitcoin basiert nicht auf Gold oder einen anderen realen Wert, sondern auf Mathematik. Weltweit benutzen Menschen eine Software, die einer mathematischen Formel folgt, um Bitcoins zu generieren.
Im Zentrum dieser Währung steht eine Datenbank, die für jeden mit Internetanschluss zugänglich ist. Sie kann unter blockchain.info eingesehen werden und verzeichnet alle Zahlungshistorien der Bitcoins. Das ist so, als hätte man einen Zehn-Euro-Schein, auf dem alle vorherigen Besitzer und die zugehörigen Bezahlvorgänge notiert wären – verschlüsselt, wohlgemerkt. Diese Datenbank läuft auf einem Netzwerk aus Tausenden Rechnern. Sie sorgen zusammen dafür, dass die Datenbank ständig aktualisiert wird und Transaktionen zügig erledigt werden. Transaktionen werden zu einem sogenannten Block gebündelt. Die Daten des Blocks werden durch einen Code verschlüsselt. Gleichzeitig machen sich Tausende Computer des Bitcoin-Netzwerks daran, den Code zu knacken. Der Rechner, der den Code zuerst geknackt hat, bekommt als Entlohnung 25 neu geprägte Bitcoins. Durch zur Verfügung stellen von Rechnerleistung „schürft“ man also Bitcoins. Diesen Prozess nennt man „Mining“. Menschen transferieren rund um die Uhr Bitcoins über das Bitcoin Netzwerk. Die Entschlüsselungstechnik verzehrt unwahrscheinlich viel Computerleistung und damit Energie. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass die jährliche Rechenleistung für die Transaktionen und Aktualisierungen der Blockchain-Datenbank heute schon dem Energiehaushalt einer Kleinstadt gleicht.
Der Umtauschkurs pro Bitcoin ist extremen Schwankungen ausgesetzt. Die schnelle Aussicht auf Gewinn lässt immer mehr Marktteilnehmer mitspielen. Die Hoffnung, man selbst sei nicht der letzte Depp der auf den Zug aufgesprungen ist, lässt die Nachfrage steigen, das Angebot ist jedoch auf 21 Millionen Bitcoin beschränkt. Die Grundlage der Blase ist also bereits gelegt. Es existieren gesicherte wissenschaftliche wie praktische Erkenntnisse über die Preisbildung in solchen Phasen. Danach steigt der Preis sogar dann noch, wenn die Mehrheit von der Wertlosigkeit am Tag x bereits überzeugt ist. Entscheidend für den Preisbildungsprozess ist die Erwartung an den „greater fool“, den größeren Dummkopf. Vielleicht gibt es bald eine Tulpe namens „Bitcoin“. Eine mit dem Namen „Dow Jones“ existiert schon lange.
Redakteur: Diplom-Kaufmann Markus Richert, CFP®
Seniorberater Vermögensverwaltung