Deutschland wird zu einem Land der Erben. Die erste Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg die lange Friedensphase nutzen konnte, um sich einen gewissen Wohlstand aufzubauen, hinterlässt selbigen ihren Kindern. Dabei wird das Thema in vielen Haushalten immer noch sehr stiefmütterlich behandelt. 40 Prozent der Deutschen haben sich noch nie mit dem Thema Erbrecht befasst. Immerhin können sich zwei Drittel der Deutschen über eine Erbschaft von mehr als 100.000 Euro freuen, für sechs Prozent der Erben überstieg der Wert des Nachlasses bereits eine Viertelmillion Euro – Tendenz stark steigend. Sobald etwas Vermögen vorhanden ist, sollte man sich einmal Gedanken um eine Nachlassregelung machen. Dies gilt unabhängig vom Lebensalter. Schließlich gibt es viele Möglichkeiten morgens aus dem Haus zu gehen und abends nicht wieder zurückzukommen.
Liegt keine letzte Verfügung, also weder Erbvertrag noch Testament vor, tritt automatisch die gesetzliche Erbfolge ein. „Das Gut fließt wie das Blut“ lautet ein Merksatz zur gesetzlichen Erbfolge. Er gibt eine grobe Orientierung, mehr nicht. Ohne Testament bildet sich im Todesfall eine Erbengemeinschaft, der in Deutschland ausschließlich Blutsverwandte (mit Ausnahme von Adoptivkindern) nach festgelegter Erbenordnung und gemäß Ehegattenrecht ein zum Zeitpunkt des Todes in gültiger Ehe lebender Partner angehören. Ob die Eltern verheiratet waren, spielt für die Kinder beim Erbrecht übrigens keine Rolle denn nichteheliche sind ehelichen Kindern gleichgestellt. Stief- oder Pflegekinder dagegen haben kein gesetzliches Erbrecht. Die gesetzliche Erbfolge nimmt jedoch keine Rücksicht auf die realen Lebensumstände der Hinterbliebenen. Das Pflichtteilsrecht sichert den Mitgliedern der Erbengemeinschaft dabei eine gesetzliche Mindestbeteiligung am Nachlass. 90 Prozent aller Erbfälle in Deutschland münden derzeit in einer solchen Erbengemeinschaft. Oft ist der spätere Streit vorprogrammiert und gerade bei komplexeren Vermögen werden steuerliche Freibeträge nicht optimal ausgeschöpft.
Das Gesetz sieht vor, dass die Verwandten das Vermögen des Erblassers erben. Dabei werden nicht alle Verwandten unterschiedslos gleich behandelt. Das Gesetz gliedert sie nach „Ordnungen“. Lebt auch nur ein Angehöriger einer höheren Ordnung, schließt er alle Verwandten der niedrigeren Ordnungen aus. Das Bürgerliche Gesetzbuch sortiert die Verwandten nach Herzensnähe in vier Ordnungen. Zur ersten Ordnung gehören deshalb die Abkömmlinge, also Kinder, Enkel, Urenkel usw. in gerader Linie nach unten. Existieren mehrere Kinder so erben diese zu gleichen Teilen. Die einzelnen Kinder bilden Stämme, analog zu Abrahams 12 Söhnen in der Bibel. Nach dem Repräsentationsprinzip schließt ein Kind seine eigenen Kinder aus, solange es lebt. Stirbt ein Kind des Erblassers, treten dessen Kinder an seine Stelle. Das bezeichnet man als das Eintrittsprinzip.
Nah, aber nicht ganz so nah wie unsere Kinder, sind uns die Eltern und deren Abkömmlinge, also unsere Geschwister. Sie zählen zu Erben der zweiten Ordnung. Diese kommen aber nur dann zum Zug, wenn der Erblasser keine leiblichen oder adoptierten Kinder hat. Auch hier geht es wieder von oben nach unten. Leben die Eltern beide, so schließen sie ihre Abkömmlinge, die Geschwister des Erblassers, aus. Diese spielen erst dann eine Rolle, wenn wenigstens ein Elternteil nicht mehr lebt. Dann übernehmen Sie dessen Erbteil. Und wenn auch sie nicht mehr leben, gibt es die Erbschaft für deren Kinder, die Neffen und Nichten. Sollten weder Kinder, Eltern oder Geschwister vorhanden sein. Greift die dritte Ordnung. Erbberechtigt sind dann die Großeltern bzw. deren Abkömmlinge (Onkel und Tanten). Bei deren Ableben kommen dann die Cousinen und Cousins als Erben in Frage.
Richtig unübersichtlich wird es dann mit Erben der vierten Ordnung. Aber der Gesetzgeber hat an alles gedacht. Sollten auch die Erben der dritten Ordnung nicht verfügbar sein, geht es in der Ahnentafel eine weitere Stufe nach oben. Jetzt kommen die Urgroßeltern ins Spiel. Eltern hat man als Erblasser zwei, Großeltern vier und Urgroßeltern acht. Ab dieser Stufe wird es in den meisten Fällen kompliziert. Ab jetzt greift das Gradualsystem. Dabei bestimmt sich das Erbe nach dem Grad der Verwandtschaft. Es ist also entscheidend, wie viele Geburten zwischen dem Erblasser und dem Verwandten liegen. Bei Gleichrangigkeit mehrerer Nachkommen erben diese zu gleichen Teilen. Sollte auch in der vierten Ordnung kein lebender Erbe auffindbar sein, wird nach den weiter entfernten Verwandten der fünften oder ferneren Ordnung gesucht. Dabei springt man in der Ahnentafel immer eine weitere Generation nach oben. Theoretisch unbegrenzt, spätestens bei Adam und Eva ist dann allerdings Schluss. Wenn der Nachlass groß genug ist, kommen die Erbenermittler ins Spiel.
Neben den Verwandten haben auch Ehegatten und Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ein im Gesetz verankertes Erbrecht. Sein Erbe muss der überlebende Partner möglicherweise mit Schwiegereltern, Schwägerin oder Schwager teilen. Alleinerbe ist er nur, wenn der Verstorbene keine Eltern, Großeltern oder Geschwister hat. Wichtig für die Berechnung der Erbanteile ist der Güterstand, in dem das Paar lebte. Bei den meisten Eheleuten ist das der gesetzliche Güterstand, die sogenannte Zugewinngemeinschaft. Dabei erbt der Ehepartner neben den Erben erster Ordnung, also seinen Kindern oder Enkeln, zunächst einmal ein Viertel, gegenüber Verwandten zweiter Ordnung sowie Großeltern des Verstorbenen die Hälfte. Außerdem hat er ein Anrecht auf den sogenannten Zugewinnausgleich. Geschiedene Ehepartner können einander nicht beerben. Das gilt auch dann, wenn die Scheidung noch gar nicht ausgesprochen, der Erblasser aber schon den Scheidungsantrag gestellt hat. Bei unverheirateten Paaren steht dem länger lebenden Partner nach dem Gesetz kein Erbrecht zu. Das Vermögen wird ausschließlich an die Verwandten des Verstorbenen verteilt.
Spätestens in einem solchen Fall ist ein Testament unverzichtbar. Denn niemand ist verpflichtet, sich an die Regeln der gesetzlichen Erbfolge zu halten. Jeder gesetzliche Erbe kann durch ein Testament von der Erbfolge ausgenommen werden, indem der Erblasser ihn explizit ausschließt oder einfach gar nicht erwähnt und andere Personen zu Erben beruft. Allerdings sind die engsten Verwandten des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Dazu zählen die direkten Abkömmlinge (Kinder, Enkel und Urenkel), der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern des Verstorbenen. Der Pflichtteil ist ein Geldanspruch, der sich stets gegen den testamentarisch festgelegten Erben richtet. Grundsätzlich steht einem Pflichtteilsberechtigten die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils zu.
Gerade in komplexeren Familiensituationen (Patchwork-Familie oder zweite Ehe) ist eine rechtzeitige Regelung des Nachlasses unverzichtbar. Miterbengemeinschaften sind besonders streitanfällig, wenn der Erblasser nach einer Scheidung erneut geheiratet hat und seine Kinder aus der ersten Ehe sich nach seinem Tod in einer Miterbengemeinschaft mit der neuen Ehefrau und Kindern aus der zweiten Ehe wiederfinden. Streitigkeiten lassen sich vermeiden, wenn man rechtzeitig dafür sorgt, dass keine Erbengemeinschaft entsteht. Ein Testament und sorgfältige Planung sind für solche Fälle notwendig. Grundlage bietet dafür ein vollständiger Finanzplan. Die Lebensumstände ändern sich, die Vermögenssituation ist einem permanenten Wandel unterzogen. Genauso, wie man einmal im Jahr innehält und seine Vermögensanlagen überprüft, ist auch eine regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung des „letzten Willens“ notwendig.