Selbständige und angestellte Ärzte, Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschafts- und Buchprüfer, Tierärzte und Zahnärzte sowie Notare gehörten bei der Rentenversicherung lange Zeit zu einer privilegierten Gruppe. Da Angehörige der Freien Berufe von der Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen waren, gründeten sich vor allem nach der „Adenauerschen-Rentenreform“ von 1957 eigene berufsständische Versorgungswerke. Heute bestehen in Deutschland fast 90 auf Landesrecht beruhende öffentlich-rechtliche Pflichtversorgungseinrichtungen der Angehörigen der verkammerten Freien Berufe. Eine Mitgliedschaft im Versorgungswerk ist meist Pflicht und ermöglicht die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung. Die zu zahlenden Beiträge richten sich nach der Höhe des Einkommens. Bei identischer Beitragshöhe wie in der gesetzlichen Rentenversicherung lockte in der Vergangenheit aber in den Versorgungswerken eine deutlich höhere Rente.
Zahlreiche Versorgungswerke wenden das offene Deckungsplanverfahren an. Dabei handelt es sich um ein Mischverfahren aus Kapitaldeckung und dem Umlagefinanzierungsverfahren. Durch die Verbindung der beiden Finanzierungsverfahren ist es eigentlich krisenfester und weniger abhängig von demografischen Veränderungen und Kapitalmarktschwankungen. In den letzten Jahren gerät die Kalkulation aber von zwei Seiten unter Druck. Zum einen steigt die Lebenserwartung signifikant an. Die statistische Restlebenserwartung für Freiberufler liegt bei Männern 4-7 Jahren und bei Frauen 3–6 Jahren über der statistischen Restlebenserwartung der Gesamtbevölkerung. Männliche Freiberufler werden danach also im Mittel ca. 88 Jahre alt; weibliche Freiberufler ca. 90 Jahre alt. Versorgungsleistungen müssen dadurch viel länger als ursprünglich geplant gezahlt werden.
Zum anderen sinken durch die Niedrigzinsphase die Zinserträge aus dem Kapitalstock. Denn wie Lebensversicherungen unterliegen auch Versorgungswerke strengen Anlagerestriktionen. So dürfen Versorgungswerke im Vergleich zu Lebensversicherungen immerhin 35 Prozent des gebundenen Vermögens in Risikoanlagen anlegen. Dennoch muss der verbleibende Kapitalstock zu einem großen Anteil in „sicheren“ Anlagen, wie beispielsweise festverzinslichen Wertpapieren angelegt werden. In den letzten Jahren rutschen immer mehr Versorgungswerke unter ihr selbst gestecktes Zinsziel, den Rechnungszins, der oft noch bei vier Prozent liegt. Der Rechnungszins im offenen Deckungsplanverfahren stellt allerdings keinen Garantiezins im Sinne der Lebensversicherung dar. Von den zehn größten berufsständischen Versorgungswerken schafften es nur drei, seit 2012 immer über vier Prozent Rendite mit ihren Kapitalanlagen zu erwirtschaften. Weil die Rentenprognosen auf dem Rechnungszins beruhen, drohen den knapp eine Million Mitgliedern nun Renteneinbußen. Denn nur wenn der Rechnungszins in der Kapitalanlage mit entsprechender Rendite erreicht wurde, ist die vom Versorgungswerk in Aussicht gestellte Rente in der Zukunft nicht in Gefahr.
In der Vergangenheit war schon vom „Wackeln“ einiger Versorgungswerke die Rede. Im Fall einer Insolvenz eines Versorgungswerkes existiert keine staatliche Garantie, die für die eingezahlten Beiträge einsteht. Versorgungswerke unterliegen der Aufsicht der Länder. Eine übergeordnete Finanzaufsicht wie die BaFin gibt es nicht. Es gibt kein Rettungsszenario, falls einzelne Versorgungswerke in Not geraten. Ob eine Fusion von angeschlagenen Versorgungswerken die Lösung ist darf bezweifelt werden. Auch eine Sanierung durch die Staatkasse wäre politisch unpopulär und wenig wahrscheinlich. Kritiker bemängeln derzeit die große Umverteilung innerhalb mancher Versorgungswerke. Teilweise herrscht eine 2-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Versorgungswerke, in der die Leistungen der jungen Mitglieder zu Lasten der Altmitglieder reduziert werden. Häufig erhalten Neumitglieder der Versorgungswerke keine Euro-Beträge, sondern nur Punkte genannt, welchen je nach Kassenlage des Versorgungswerkes dann mit Punktwerten multipliziert werden. Viele Beobachter hinterfragen auch, warum viele Versorgungswerke in den letzten Jahren so massiv freiwillige Zuzahlungen ihrer Mitglieder einwerben. Geworben wird dabei häufig mit einem konkurrenzlos hohen Rechnungszins, der mit hoher Wahrscheinlichkeit bei anhaltender Niedrigzinsphase nicht gehalten werden kann.
Denn die Versorgungswerke bieten eine weitaus höhere Flexibilität als die gesetzliche Rentenversicherung. Dies betrifft neben möglichen freiwilligen Zuzahlungen auch den Zeitpunkt der Altersrente. Die berufsständischen Versorgungswerke kennen nach der Satzung sowohl vorgezogene als auch aufgeschobene Altersruhegelder. Im ersten Fall wird ein versicherungsmathematischer Abschlag von der Rentenhöhe fällig, im zweiten Fall ist es umgekehrt. Als Faustregel gilt: Je Monat des früheren oder hinausgeschobenen Rentenbezugs ist ein Ab- beziehungsweise Zuschlag von 0,5 Prozent fällig. Der frühestmögliche Zeitpunkt zum Beginn einer vorgezogenen Altersrente ist für Personen, die vor dem 1. Januar 2012 schon Versicherungszeiten in einem berufsständischen Versorgungswerk erlangt haben, die Vollendung des 60. Lebensjahres, für alle anderen Mitglieder die Vollendung des 62. Lebensjahres. Grundlage ist dabei immer die jeweilige Satzung.
Bei den Versorgungswerken erhält man die vorgezogene Altersrente genauso wie die reguläre Altersrente nach Eintritt in den Regelaltersruhestand ohne die Anrechnung sonstiger Einkünfte. Das bedeutet, das man trotz Rente weiterarbeiten kann. Gerade für selbstständige Freiberufler bieten sich hier interessante Gestaltungsmöglichkeiten. Bei einem Renteneintritt mit beispielsweise 62 Jahre (5 Jahre früher) beträgt der Rentenabschlag ca. 30 Prozent (60 Monate * 0,5). Auf der anderen Seite spart man die Beitragszahlungen in das Versorgungswerk. Niedergelassene Ärzte zahlen in NRW einen Pflichtabgabe von 1.648,40 Euro pro Monat. Bei 5 Jahren ergibt das eine Ersparnis in Höhe von 98.904 Euro. Zusätzlich fließt schon die Altersrente, die mit Abschlag beispielsweise 2.400 Euro beträgt. Bei 60 Monaten ergibt das einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 144.000 Euro. In Summe ergibt sich eine zusätzliche Liquidität in Höhe von 242.904 Euro, die alternativ angelegt werden kann.
Das oben genannte Beispiel ist stark vereinfacht. Selbstverständlich müssen die individuellen steuerlichen Auswirkungen und der Einfluss auf die Hinterblieben-Versorgung berücksichtigt werden. Mit Hilfe eines vollständigen Finanzplans kann eine individuelle Break-even-Berechnung durchgeführt werden. In vielen Fällen liegt der Break-even-Point erst in den späten 80er Lebensjahren. Mitglieder eines Versorgungswerkes haben die Möglichkeit ihre Altersrente aktiv zu gestalten. Ein vollständiger Finanzplan bietet dafür die idealen Voraussetzungen.