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  string(7514) "Ein Truthahn hat eigentlich ein schönes Leben. Er wird jeden Tag gefüttert und umsorgt. Täglich registriert die statistische Abteilung seiner Gehirnregion, dass die menschliche Rasse sich um sein Wohlergehen sorgt, und jeden Tag erhärtet sich diese Feststellung mehr. Ausgerechnet am Abend vor seinem Tod ist die Wahrscheinlichkeit, dass er am nächsten Tag auch wieder gefüttert und umsorgt wird, aus der Sicht des Truthahns am größten. Denn mit jeder Fütterung stieg seine Gewissheit bzw. sein Vertrauen darauf, dass ihm nichts passiert. Dann passiert es doch, Vegetarier müssen jetzt ganz tapfer sein, einen Tag vor „Thanksgiving“ erlebt der Truthahn eine böse und letzte Überraschung. Der Mann, der ihn so lange verwöhnt hat, kommt dann nicht mit dem Futter, sondern mit dem Messer. Thanksgiving war dem Truthahn unbekannt und er musste auf bittere Art herausfinden, dass ihm eine wichtige Information fehlte.
Die Truthahn-Illusion wurde als Metapher populär in dem Buch „Der schwarze Schwan“ von dem Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb. Derzeit laufen wieder viele Anleger und Anlageberater Gefahr ein Opfer dieser Illusion zu werden. Seit über 20 Jahren sinken die Zinsen kontinuierlich. Gab es Anfang der 1990er Jahre für deutsche Staatsanleihen neun Prozent Zinsen, so gehören seit Mitte Juli zehnjährige Staatsanleihen der Bundesrepublik zum Klub der negativen Zinsen, der unter anderem auch die zehnjährigen Papiere in Japan und der Schweiz als Mitglieder zählt. In der Vergangenheit konnten Anleger jahrelang neben hohen Zinserträgen zusätzlich von Kursgewinnen der Anleihen profitieren. Doch was in der Vergangenheit reibungslos funktioniert hat, kann in der Welt von morgen ganz anders aussehen. Selbst ohne Zinsprognose ist offenkundig, dass die Renditen der Vergangenheit vor dem Hintergrund des aktuellen Zinsniveaus kaum noch erzielbar sein werden. Im Gegenteil, das Risiko von Kursverlusten durch einen Zinsanstieg ist deutlich gestiegen. Es ist nicht eine Frage ob, sondern wann. Der Tag wird kommen, an dem sich die negativen Zinsen auf einige Staatsanleihen wieder drehen werden. Dann erleben diese Truthahn-Investitionen, wie inzwischen die zehnjährigen deutschen Staatsanleihen genannt werden, ihr Thanksgiving und werden vom Markt nicht mehr gefüttert, sondern geschlachtet.
Dem Truthahn ist die Existenz von Thanksgiving und der damit verbundene kulinarische Brauch unbekannt. Im Gegensatz dazu sollten die Marktteilnehmer das Risiko kennen. Allerdings scheint derzeit Verdrängung für viele das probate Mittel zu sein. So empfiehlt beispielsweise die Stiftung Warentest mit Ihren „Pantoffel-Portfolios“ konservativen Anlegern weiterhin einen hohen Anteil an Staatsanleihen im Portfolio zu halten. Ebenso stecken viele konservative Mischfonds mit ihren konstant hohen Anleihenanteil in der Zinsfalle. Viele Markteilnehmer haben in ihrer beruflichen Laufbahn noch nie ein Umfeld steigender Zinsen miterlebt. Die Vergangenheit wird einfach fortgeschrieben, schließlich hat diese sich bewährt. Doch genau wie beim Truthahn wird der unvermeidliche Trendbruch fatale Folgen haben.
Vor wenigen Jahren, im Zug der Finanzkrise 2008, wurde schon einmal diese Schwäche im System deutlich. Als im September 2008 die große amerikanische Versicherung AIG zusammen mit der Investmentbank Lehman Brothers unmittelbar vor dem Zusammenbruch stand, wurde das Management von AIG gefragt, warum es so viele Risiken in seiner Bilanz angesammelt habe. Die Antwort war verblüffend einfach. Die Versicherung hatte mit Blick auf frühere Erfahrungen Projektionen für die Zukunft gemacht, aber da es in der jüngeren Vergangenheit keine schwere Finanzkrise gegeben hatte, sahen die Risikomodelle von AIG eine solche Krise auch nicht für die Zukunft vor.
„In den Naturwissenschaften baut das, was wir denken, auf dem auf, was wir sehen. Aber in den Wirtschaftswissenschaften baut das, was wir sehen, auf dem auf, was wir denken.“ so formulierte der Ökonom George L.S. Shackle (1903-1992) das Problem seiner Zunft. In seiner Vorstellung wird die Zukunft durch heutige Entscheidungen von Menschen beeinflusst, die ihrerseits diese Zukunft aber nicht kennen. Prognosen sind nicht möglich, mit Überraschungen ist immer zu rechnen. So stellte schon Mark Twain vor mehr als hundert Jahren fest: „Prognosen sind eine schwierige Sache. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Eine starre Ausrichtung an Regeln fand Schackle aus diesem Grund suboptimal. In einer unvorhersehbaren Welt wird das unbedingte Festhalten an Regeln zu einem fragilen Konzept. In Europa stellt sich derzeit die Frage, ob die aktuelle Geldpolitik der EZB, die sich sehr wohl aus einem angelsächsischen Lehrbuch zur Geldpolitik ableiten ließe, nicht mittlerweile das Gegenteil von dem bewirkt, was sie bewirken soll. Eigentlich sollten niedrige Zinsen die Wirtschaft ankurbeln, aber wenn sie von den Menschen als Symbol einer tiefen Krise begriffen werden, können sie zusätzliche Unsicherheit erzeugen, die das Wirtschaftswachstum lähmt.
Heute weisen Staatsanleihen im Gesamtwert von rund 9 Billionen Euro negative Renditen aus. Zwei Drittel dieses Betrages entfallen auf japanische, ein Drittel auf europäische Anleihen. In anderen Industrienationen sind die Renditen positiv, aber auch nahe ihrer historischen Tiefstände. Manche Investoren sind bereit, Geld zu negativen Zinsen zu parken, sofern die Anlage sicher ist. Der negative Zins ähnelt dann einer Versicherungsprämie. Eine solche Anlage ist sicherlich nicht optimal, aber trotzdem aus Sicht der Investoren durchaus rational. Denn in einer zunehmend unsicheren Welt, in der die Regeln aus der Vergangenheit keine Gültigkeit mehr zu haben scheinen, ist die Sicherheit einer Anlage entscheidend, nicht die Rendite. Für wirtschaftlich stabile Staaten durchaus ein Geschäftsmodell, so hat die Bundesrepublik Deutschland jetzt durch die Negativzinsen bei Anleihen, die sie von Januar bis Juni 2016 ausgegeben hat, bereits 1,5 Milliarden Euro verdient.
Manche Ökonomen sehen die negativen Renditen sogar als einen Ausdruck wachsender privater Vermögen und damit als ein Wohlstandsphänomen. Nach Schätzungen der Credit Suisse dürften am Ende des Jahrzehnts die privaten Vermögen in der Welt umgerechnet rund 330 Billionen Euro betragen. Sichere Staatsanleihen bieten dabei eine Art Versicherungsschutz gegen ökonomische Großrisiken und die negative Rendite ist dabei eine durchaus günstige Versicherungsprämie. Dabei wird die Nachfrage nach sicheren Anlagen in den nächsten Jahren noch zunehmen. Der Grund liegt vor allem bei Vermögenden in Ländern wie China und Indien, deren private Versicherungsmärkte unterentwickelt sind. Aus diesem Grund ist auf lange Zeit mit negativen Renditen bei sicheren Staatsanleihen zu rechen. Man sollte akzeptieren, das frühere Renditen für künftige Renditen bei Staatsanleihen ohne Bedeutung sind.
Manche Ökonomen glauben das aus diesen Gründen Thanksgiving für die Truthahn-Investitionen erst einmal ausfällt. Es kann noch viel Zeit bis zur Zinswende vergehen. Nicht mehr ganz so viel Zeit haben die tierischen Truthähne. Spätestens am vierten Donnerstag im November wird in den USA und Kanada Thanksgiving gefeiert. Gut das Truthähne keine Ahnung von dem Feiertag und den daraus resultierenden persönlichen Konsequenzen haben.
Redakteur: Diplom-Kaufmann Markus Richert, CFP®
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Da staunte der Truthahn

Ein Truthahn hat eigentlich ein schönes Leben. Er wird jeden Tag gefüttert und umsorgt. Täglich registriert die statistische Abteilung seiner Gehirnregion, dass die menschliche Rasse sich um sein Wohlergehen sorgt, und jeden Tag erhärtet sich diese Feststellung mehr. Ausgerechnet am Abend vor seinem Tod ist die Wahrscheinlichkeit, dass er am nächsten Tag auch wieder gefüttert und umsorgt wird, aus der Sicht des Truthahns am größten. Denn mit jeder Fütterung stieg seine Gewissheit bzw. sein Vertrauen darauf, dass ihm nichts passiert. Dann passiert es doch, Vegetarier müssen jetzt ganz tapfer sein, einen Tag vor „Thanksgiving“ erlebt der Truthahn eine böse und letzte Überraschung. Der Mann, der ihn so lange verwöhnt hat, kommt dann nicht mit dem Futter, sondern mit dem Messer. Thanksgiving war dem Truthahn unbekannt und er musste auf bittere Art herausfinden, dass ihm eine wichtige Information fehlte.
Die Truthahn-Illusion wurde als Metapher populär in dem Buch „Der schwarze Schwan“ von dem Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb. Derzeit laufen wieder viele Anleger und Anlageberater Gefahr ein Opfer dieser Illusion zu werden. Seit über 20 Jahren sinken die Zinsen kontinuierlich. Gab es Anfang der 1990er Jahre für deutsche Staatsanleihen neun Prozent Zinsen, so gehören seit Mitte Juli zehnjährige Staatsanleihen der Bundesrepublik zum Klub der negativen Zinsen, der unter anderem auch die zehnjährigen Papiere in Japan und der Schweiz als Mitglieder zählt. In der Vergangenheit konnten Anleger jahrelang neben hohen Zinserträgen zusätzlich von Kursgewinnen der Anleihen profitieren. Doch was in der Vergangenheit reibungslos funktioniert hat, kann in der Welt von morgen ganz anders aussehen. Selbst ohne Zinsprognose ist offenkundig, dass die Renditen der Vergangenheit vor dem Hintergrund des aktuellen Zinsniveaus kaum noch erzielbar sein werden. Im Gegenteil, das Risiko von Kursverlusten durch einen Zinsanstieg ist deutlich gestiegen. Es ist nicht eine Frage ob, sondern wann. Der Tag wird kommen, an dem sich die negativen Zinsen auf einige Staatsanleihen wieder drehen werden. Dann erleben diese Truthahn-Investitionen, wie inzwischen die zehnjährigen deutschen Staatsanleihen genannt werden, ihr Thanksgiving und werden vom Markt nicht mehr gefüttert, sondern geschlachtet.
Dem Truthahn ist die Existenz von Thanksgiving und der damit verbundene kulinarische Brauch unbekannt. Im Gegensatz dazu sollten die Marktteilnehmer das Risiko kennen. Allerdings scheint derzeit Verdrängung für viele das probate Mittel zu sein. So empfiehlt beispielsweise die Stiftung Warentest mit Ihren „Pantoffel-Portfolios“ konservativen Anlegern weiterhin einen hohen Anteil an Staatsanleihen im Portfolio zu halten. Ebenso stecken viele konservative Mischfonds mit ihren konstant hohen Anleihenanteil in der Zinsfalle. Viele Markteilnehmer haben in ihrer beruflichen Laufbahn noch nie ein Umfeld steigender Zinsen miterlebt. Die Vergangenheit wird einfach fortgeschrieben, schließlich hat diese sich bewährt. Doch genau wie beim Truthahn wird der unvermeidliche Trendbruch fatale Folgen haben.
Vor wenigen Jahren, im Zug der Finanzkrise 2008, wurde schon einmal diese Schwäche im System deutlich. Als im September 2008 die große amerikanische Versicherung AIG zusammen mit der Investmentbank Lehman Brothers unmittelbar vor dem Zusammenbruch stand, wurde das Management von AIG gefragt, warum es so viele Risiken in seiner Bilanz angesammelt habe. Die Antwort war verblüffend einfach. Die Versicherung hatte mit Blick auf frühere Erfahrungen Projektionen für die Zukunft gemacht, aber da es in der jüngeren Vergangenheit keine schwere Finanzkrise gegeben hatte, sahen die Risikomodelle von AIG eine solche Krise auch nicht für die Zukunft vor.
In den Naturwissenschaften baut das, was wir denken, auf dem auf, was wir sehen. Aber in den Wirtschaftswissenschaften baut das, was wir sehen, auf dem auf, was wir denken.“ so formulierte der Ökonom George L.S. Shackle (1903-1992) das Problem seiner Zunft. In seiner Vorstellung wird die Zukunft durch heutige Entscheidungen von Menschen beeinflusst, die ihrerseits diese Zukunft aber nicht kennen. Prognosen sind nicht möglich, mit Überraschungen ist immer zu rechnen. So stellte schon Mark Twain vor mehr als hundert Jahren fest: „Prognosen sind eine schwierige Sache. Vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Eine starre Ausrichtung an Regeln fand Schackle aus diesem Grund suboptimal. In einer unvorhersehbaren Welt wird das unbedingte Festhalten an Regeln zu einem fragilen Konzept. In Europa stellt sich derzeit die Frage, ob die aktuelle Geldpolitik der EZB, die sich sehr wohl aus einem angelsächsischen Lehrbuch zur Geldpolitik ableiten ließe, nicht mittlerweile das Gegenteil von dem bewirkt, was sie bewirken soll. Eigentlich sollten niedrige Zinsen die Wirtschaft ankurbeln, aber wenn sie von den Menschen als Symbol einer tiefen Krise begriffen werden, können sie zusätzliche Unsicherheit erzeugen, die das Wirtschaftswachstum lähmt.
Heute weisen Staatsanleihen im Gesamtwert von rund 9 Billionen Euro negative Renditen aus. Zwei Drittel dieses Betrages entfallen auf japanische, ein Drittel auf europäische Anleihen. In anderen Industrienationen sind die Renditen positiv, aber auch nahe ihrer historischen Tiefstände. Manche Investoren sind bereit, Geld zu negativen Zinsen zu parken, sofern die Anlage sicher ist. Der negative Zins ähnelt dann einer Versicherungsprämie. Eine solche Anlage ist sicherlich nicht optimal, aber trotzdem aus Sicht der Investoren durchaus rational. Denn in einer zunehmend unsicheren Welt, in der die Regeln aus der Vergangenheit keine Gültigkeit mehr zu haben scheinen, ist die Sicherheit einer Anlage entscheidend, nicht die Rendite. Für wirtschaftlich stabile Staaten durchaus ein Geschäftsmodell, so hat die Bundesrepublik Deutschland jetzt durch die Negativzinsen bei Anleihen, die sie von Januar bis Juni 2016 ausgegeben hat, bereits 1,5 Milliarden Euro verdient.
Manche Ökonomen sehen die negativen Renditen sogar als einen Ausdruck wachsender privater Vermögen und damit als ein Wohlstandsphänomen. Nach Schätzungen der Credit Suisse dürften am Ende des Jahrzehnts die privaten Vermögen in der Welt umgerechnet rund 330 Billionen Euro betragen. Sichere Staatsanleihen bieten dabei eine Art Versicherungsschutz gegen ökonomische Großrisiken und die negative Rendite ist dabei eine durchaus günstige Versicherungsprämie. Dabei wird die Nachfrage nach sicheren Anlagen in den nächsten Jahren noch zunehmen. Der Grund liegt vor allem bei Vermögenden in Ländern wie China und Indien, deren private Versicherungsmärkte unterentwickelt sind. Aus diesem Grund ist auf lange Zeit mit negativen Renditen bei sicheren Staatsanleihen zu rechen. Man sollte akzeptieren, das frühere Renditen für künftige Renditen bei Staatsanleihen ohne Bedeutung sind.
Manche Ökonomen glauben das aus diesen Gründen Thanksgiving für die Truthahn-Investitionen erst einmal ausfällt. Es kann noch viel Zeit bis zur Zinswende vergehen. Nicht mehr ganz so viel Zeit haben die tierischen Truthähne. Spätestens am vierten Donnerstag im November wird in den USA und Kanada Thanksgiving gefeiert. Gut das Truthähne keine Ahnung von dem Feiertag und den daraus resultierenden persönlichen Konsequenzen haben.
Redakteur: Diplom-Kaufmann Markus Richert, CFP®
Seniorberater Vermögensverwaltung

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